Rezension zu Clemens Meyer: Die stillen Trabanten

Unsicherheit ist das bestimmende Prinzip

Unsicherheit ist das bestimmende Prinzip in diesem Band, der Erzählungen versammelt, die sich in Randgebieten und an Nichtorten, in Vorstädten, Industriegebieten und an Bahnhöfen abspielen. Die meisten Erzählungen handeln von flüchtigen Begegnungen, in denen kurze Momente der Annäherung durch einen abrupten Abbruch der Verbindung aufgelöst werden.

Da ist der Security, der sich in eine Frau aus dem Asylbewerberheim verliebt, die Bahnreinigungskraft, die mit der Friseurin in der Bahnhofskneipe Freundschaft schließt, der Imbissbetreiber, der eine Affäre mit seiner verheirateten muslimischen Nachbarin beginnt. Viel Ost/West, viel Unterschicht, viel Migrationshintergrund.

Unsicherheit hält auch in der Erzählperspektive Einzug, da verschwimmen die Zeiten und die Erinnerungen, die Gedanken verlieren sich, war das gestern oder vor zehn Jahren, hat das überhaupt so stattgefunden? Figuren stolpern durch offene Türen und werden zu Enkeln, die sie nicht sind, die nicht aus dem Krieg zurückgekehrt sind, ein alter Mann erzählt von der Strandbahn und Liebe, im Krieg, und Willi Bredel erlebt alles noch einmal.

Das ist durchaus solide gebaut mit den Erinnerungslücken und psychischen Problemen, auch mit der Tristesse der Umgebung, aber irgendwie springt der Funke doch nicht so ganz über. Die Begeisterung für alles Randständige wirkt leicht exploitativ, wenn sie sich immer wieder im gebrochenen Deutsch, im Schimpfen auf Kanaken, im Bestellen einer kleinen Maria oder im kriegstrauamabedingten Stot-ot-ottern der Protagonist*innen ausdrückt.

Da wird viel technischer Zierat aufgehängt, der oft wie billige LED-Lichterketten wirkt, die auch gut auf die kärglichen Weihnachtsbäume des beschriebenen Milieus passen würde. Oft erscheint die Unsicherheit nur aufgepappt, der Schriftsteller setzt seinen Figuren noch einen lustigen Psychosehut auf, oder sie verwechseln halt mal was, obwohl die Geschichte auch gut ohne die Verwechslung auskommen könnte.

Ob das jetzt vor fünf Minuten, gestern oder letzte Woche war, als ihr über die Männer geredet habt, spielt doch wirklich keine Rolle. Unsicherheit des Gedächtnisses ist eine alltägliche Erfahrung, die hier etwas zu oft aufgebauscht wird zu einem Geheimnis oder einem Defekt.

Von der Äkschn GmbH, von der Meyer in seiner Poetikvorlesung tönt, ist in diesem Erzählungsband wenig zu spüren, aber das ist ein anderes Thema. Insgesamt schon ganz nette Schreibwerkstattgeschichten, und die letzte, über Willi Bredel, Störtebecker und den zweiten Weltkrieg konnte sogar wirklich was. Wahrscheinlich, weil der Autor sich nicht so allzu künstlich in ein Unterschichtsmilieu hineinschreiben musste.

Foto von Oliver Augustijn auf Unsplash