Rezension zu Wolfram Lotz: Einige Nachrichten an das All
Ich versuche hier ja nur etwas Struktur reinzubringen
Ein Stück, [ein Gespräch mit dem Banknachbar, der gerade einen Peacejoint rauchte, etwas älter, er erzählt von Poesie, die an die Grenze der Sprache und der Welt rührt, von Totengesängen in Madagaskar, dem Geheimnis der Wiedergeburt, in Brandenburg werden jetzt Süßkartoffeln angebaut, sie sind weniger anfällig und enthalten mehr Nährstoffe als die normalen Kartoffeln, wir sprechen nicht die gleiche Sprache, er, wie ein weiser, ein alter Indianer (das ist ein Klischee), das Wetter ist gut, das Klima, nunja. Ich habe eine Ahnung, was er sagt, er sagt: es gibt..., das ist eine Sprache, die ich nicht verstehe, ich weiß nicht, was ich sagen soll, habe kein Programm, keine Frage, kann nur ja sagen und lächeln und rauchen], ein Stück auf unsicheren Füßen, in sieben Teilen, das keinen Sinn macht. Also. Gerahmt wird es von Kindern aus dem Krankenhaus, die die Geschichte der heiligen drei Könige inszenieren, in groben Zügen, im Foyer, ein Haufen Mullbinden, in dem, vielleicht, das Jesuskind steckt.
Auf der Bühne treten auf Lum und Purl Schweitzke, Idioten mit Behinderung, Klischee, die auch nicht so recht wissen, was sie da eigentlich tun. Ein Kind kriegen, das wäre so die Idee. Aber sie sind ja nur Figuren, Randfiguren, und man weiß nicht, was passiert. Für den Fortgang verantwortlich zeichnet der Leiter des Fortgangs, faustgleich hat er alles studiert und reihenweise Praktika absolviert, jetzt hat er eine Maschine vorbereitet, um Nachrichten ins All, an das All, zu senden. Historische Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst will er für sein Projekt gewinnen, doch das ist gar nicht so leicht. Eine dicke Frau, die mal zu Gast war in der Talkshow Britt, erfüllt dann doch nicht seine Ansprüche, weil sie nicht gesendet wurde. Constantine Samuel Rafinesque, Polyhistor aus dem neunzehnten Jahrhundert, Übersetzer, Erfinder des Walum Olum, muss einiges an Skeptizismus über seine Ideen von Wissenschaft und Genauigkeit ergehen lassen, war sein Hauptwerk doch mehr Erfindung als archäologische Entdeckung und klingt seine Idee einer idealen Indianersprache, die alles bedeutet, und zugleich nichts, einer Ursprache, die mit der Welt in Einklag steht, doch nicht allein aus postkolonialer Perspektive zweifelhaft. Ein Wort ins All senden darf er aber, genau wie Ronald Pofalla. „Mutter“, sagt der eine, der andere „Bums“. Mehr geht nicht, das muss reichen. Dann kommt Kleist, auch er tut sich schwer mit dem Projekt, er erinnert lieber an den Tod, das Problem der Sprache, des Sinns, nunja.
Glänzend hadert das Stück mit dem eigenen Fortgang, so studiert dessen Leiter auch sein mag, es geht nicht so richtig weiter. Nichts passt zusammen, keine Einzel-, geschweige denn eine Gesamtgeschichte findet eine Lösung. Purl Schweitzke bringt sich aufgrund des unerfüllten Kinderwunsches um, die Probleme der Welt, des Alls, sind heterogen und undurchdringlich. So ist das eben. Wir sind da, es gibt Freud und Leid, ein bisschen, aber mehr kann man da nicht sagen. Am Ende rezitiert auch Kleist das Walum Olum, in der Ur-Indianersprache, der Urschrei geht ins All. Zuvor hatte auch der Leiter des Fortgangs noch eine Botschaft, Unterhaltung. Die zumindest gelingt dem Stück ausgezeichnet. Auch ohne roten Faden und mit vielen Baustellen (oder gerade deswegen) geht es flott voran, stets mit einem Hauch von Tiefe.
Sprachlich ist das ganze gut durchdacht und handwerklich solide ausgeführt, allzu mächtig oder überraschend kommt es aber nicht daher. Das Einfangen der Unverständlichkeit mit Hilfe einer Fremd-, und sei es auch die Ursprache, treibt das Prinzip zwar auf die Spitze, bleibt damit aber auch eben dies: unverständlich, außerhalb jedes Sinnzusammenhangs. Manchmal wünscht man sich doch einen hoffnungsvollen Sinnversuch, der dann genussvoll scheitert, statt dies von vornherein zu antizipieren. Die affektive, a-sprachliche Gewalt des Endes haut mich im Text noch nicht so um, aber vielleicht bedarf es da auch nur ein bisschen guter Führung aka Regie oder ein paar ordentlicher Knalleffekte. Gutes Stück, aber Der grosse Marsch war besser, in sich stimmiger und mit der Persiflage zeitgenössischer Theaterformen sogar auch unterhaltsamer. Eine Doktorarbeit könnte eins trotzdem ausrollen zum Stück, mit dem Thema Urschrei, Kleist und unsere Bedeutungslosigkeit im All.
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