Rezension zu Wolfram Lotz: Das Ende von Iflingen

Apokalyptische Abwesenheit

Engel Ludwig trifft sich mit Erzengel Michael, um einen göttlichen Auftrag auszuführen. Im Rahmen des Apokalypseprojekts sollen sie das Ende der Welt in dem kleinen Dorf Iflingen einläuten und das jüngste Gericht vollziehen. Ludwig hat so etwas noch nie gemacht und stellt entsprechend viele naive bis häretische Fragen, die der erfahrene Erzengel nur sporadisch beantwortet, meist jedoch schroff von sich weist.

Michael will das Ding einfach durchziehen mit dem flammenden Schwert (Ludwig hat stattdessen eine Posaune mitgebracht), anschleichen, aufschließen, auslöschen, sie ziehen also von einem Haus zum anderen: Aber nirgends finden sie Menschen. Mehrfach werden die Richtigkeit des Auftrags und die einzelnen Akten der Menschen von beiden Engeln geprüft, Namen, Uhrzeiten, Orte abgeglichen, aber alles ist richtig, bloß die Welt entspricht nicht dem göttlichen Plan, ein Fehler oder wenigstens eine Unsauberkeit muss sich eingeschlichen haben. Die Welt ist einfach zu komplex geworden.

Ludwig beklagt zunehmend die mangelnde Beweisführung, die spärlichen Akten, die Vorverurteilung der Menschen, die nicht da sind, während Michael zwar mit Hinweisen auf die Erbschuld und andere Dogmen abwinkt, aber auch selbst vom Nichtaufgehen des Plans spürbar angegriffen wird. Zwischendurch begegnen sie einem Igel, der sie in eine Debatte zwischen Determinismus und Zweckrationalität verwickelt, einem Schwein, das endlich geschlachtet werden will, und einem Mauersegler, der, sich beständig in der Luft haltend, auch noch die Entfernung bzw. Auslöschung des Erdballs selbst von den Engeln verlangt, weil ihn die Gravitation nervt.

Nachdem sie alle Häuser erfolglos durchgegangen sind, stehen die beiden erschöpft und frustriert vor der Kirche, in die Ludwig mit seinem ermittlerischen Interesse den resignierten Michael hineinzieht. Im Dunkeln tasten sie sich zum Altar vor und entdecken dabei langsam, aber mit zunehmender Sicherheit, die Leichen der gesamten Gemeinde auf den Bänken. Bei Licht besehen finden sie die letzte Predigt des Pastors, in welcher der kollektive Selbstmord durch die Vermischung des Messweins mit Gift angepriesen wird, die Gläubigen sind also der Apokalypse zuvorgekommen und beharren in der Schrift auf ihrer Unschuld. Naja, es ist heutzutage nicht leicht, Engel zu sein und die beiden haben sich ihr Wochenende redlich verdient.

Im Hörspiel gelingt es Lotz ausgezeichnet, die beständigen Wechsel aus Licht und Dunkelheit in Szene zu setzen. Die sich in Widersprüche verstrickende Dialogführung bietet einen geradezu slapstickhaften Humor auf, mit der Apokalypse ist der Text von 2008 außerdem seiner Zeit um einige Jahre voraus. Das Gesamtpaket ist derart gut gearbeitet und erstaunlich zeitlos, dass mein persönliches Literaturbestreben erneut durch das Phantasma des „Es gibt schon alles“ geschmälert wird. Chapeau.

Foto von Pascal Bernardon auf Unsplash