Rezension zu William Shakespeare: König Lear

Warum ist denn das so dunkel hier?

König Lear will sich zur Ruhe setzen, aber damit geht das Drama los. So sehr er sich auch bemüht, Macht und Besitz gleich und gerecht an seine Töchter zu verteilen und sie mit den lauernden Herzögen zu vermählen, Missgunst und Eifersucht zerreißen seinen Plan in Fetzen. Vielleicht. Denn ganz so klar ist das alles gar nicht, solange man nicht allzu vertraut und mit den Gepflogenheiten des englischen Königshauses um 1600 zeichnet.

Lear verstößt Cordelia und Kent, weil sie irgendwie nicht die richtigen Worte finden, weil sie es mit der Wahrheit halten oder weil Lear einfach verrückt ist. Und das eigentliche Problem ist dann ja, dass der König gerne mit einem Gefolge von einhundert Rittern von einer der beiden Erbinnen durchgefüttert werden möchte. Also ja, wenn man bis gestern König war, ist man wahrscheinlich so einiges Gutes gewöhnt, und niemand überschreibt sein Vermögen gern den Töchtern und lässt sich von denen dann zur Sparsamkeit ermahnen.

Nur bei Edmund/Edgar ist die Sache klar, Edmund lügt, um an die Macht zu kommen, Edgar flüchtet falsch beschuldigt (nimmt man an). Lear lässt sich also ins Gewitter hinauswerfen, trifft auf den verkleideten Kent und den verkleideten Edgar, alle Guten müssen verrückt sein, die weisesten Worte spricht der Narr. Und dann, naja, ist plötzlich Krieg mit Frankreich, dem almosenhaft Angetrauten Cordelias, die doch die einzig gute Tochter ist. Die Diplomatie fordert ihre Opfer, alle sterben, bis auf die beiden Verkleidungskünstler Kent und Edgar. Albanien und Frankreich überleben wohl auch und ein bisschen Gefolge. Aber ja, das ist die Handlung: Dem König missglückt sein Versuch, zu Lebzeiten die Macht abzugeben.

Auch sprachlich gestaltet sich das Ganze leicht unübersichtlich, viele Personen im Raum, selten ist mir ganz klar, wer, wie und was gemeint ist. Der Text wirkt weniger wie ein ursprüngliches Ausgangsprodukt als vielmehr wie die Dokumentation eines von der Regie entwickelten Livestücks, wobei viele Feinheiten dunkel bleiben. Am Sprachgestus der Figuren zeichnen sich offenbar Standeszugehörigkeit, emotionale Befindlichkeit, geistige Gesundheit, Herkunft, Alter undsoweiter ab, und damit wird bewusst ironisch auch gespielt. Dazu noch übersetzt und vierhundert Jahre später hakt die Einsicht in viele dieser Fragen doch ein wenig. Ich kann mir ausmalen, dass ein Lied etwas Schlechteres als ein Vers ist, aber beim Lesen habe ich doch in beiden Fällen um höchste Konzentration zu ringen. Gegen Shakespeare kann man wohl nichts sagen, aber allzu tief hinein komm ich da wohl trotzdem nicht.

Lustige Beobachtungen: Der König sollte mal schlafen. Am meisten für verrückt gehalten wird er, wenn er doch ganz gute Sachen sagt. Als armer Mensch lebt es sich glücklicher. Wie Edgar seinen blinden suizidalen Vater an eine Klippe führt, dieser beim Sprung aber nicht stirbt. Von nichts kommt nichts. Regan macht sich über die Männlichkeit ihres Gatten lustig. Die Echtheit der Briefe. Die Uneindeutigkeit der Rede, weil alle sich verstellen und undurchschaubaren Systemen anpassen/widersetzen. Die Philosophiestunde/das Gericht mit König und Edgar in der Hütte.

Grob fahrlässig verpasst hab ich wohl nichts, aber die Motive liegen mir doch fern. Diese Angst vor dem (unberechenbaren) Vater, vielleicht ist sie ja auch berechtigt und fundiert. Die maskulinistische Ritterhorde. Drogenkonsum des Königs. Der Tod aus Herzschmerz. Jaja, auch ich muss schlafen jetzt. Fleißiger schöner Tag mit vielen Textgattungen.

Geschrieben im September 2019.