Rezension zu Unsichtbares Komitee: Jetzt

Kopf hoch!

Das Unsichtbare Komitee zieht Bilanz. Die Beiträge im 2017 erschienenen Band werfen einen skeptischen Blick auf die Entwicklung des Aufstands, dessen Kommen acht Jahre zuvor vom Kollektiv prognostiziert wurde. Scharfsinnig werden die jüngsten Entwicklungen der Weltpolitik kommentiert. Das Scheitern der Linken in den USA an Donald Trump, dessen Verhalten jeder Satire Hohn spricht, das Erstarken der rechtspopulistischen, rechtsextremen Strömungen in Europa, der neoliberale Brexitkurs.

Die Analyse ist ebenso wahr wie hoffnungslos. Schön gezeigt wird, wie sich progressive Ansätze wie Syriza in Griechenland vom System einverleiben lassen und wie sich die Bewegung der Platzbesetzungen in einer kollektiven Aneinanderreihung von Redebeiträgen zur individuellen Befindlichkeit verliert. Die Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche, maßgeblich vorangetrieben durch Apps, Facebook, Google, Amazon, aber auch Uber, Deliveroo, AirBnB, ja sogar Tinder und co., wird als eine Art Ablösung für den schwindenden Anteil der traditionellen Ware Arbeitskraft an der Identitätsbildung analysiert.

Das Gegenprogramm feiert das Kapern der Demospitze von Gewerkschaftsdemos durch entschlossene Riots einer angeblich heterogenen Masse der „Jungen“ im Frühjahr 2016, deren Zerstörungswut und Graffiti als positiver Ausdruck von Menschen gelesen werden, die das Leben selbst in die Hand nehmen. Damit lässt sich ganz materiell etwas ändern, ein Prozess der Aneignung wird in Gang gesetzt, der sich nicht durch Repräsentation und Kompromisse vereinnahmen lässt. Die Institutionen, die Polizei, die Krankenhäuser, die Universitäten, dienen in erster Linie ihrer Selbsterhaltung, sie schaffen erst die Probleme, deren Lösung sie zu sein behaupten.

Die Texte durchzieht das Gespenst eines Kommunismus, der gelebt statt organisiert wird. Gegen Ende wird das Vokabular etwas blumig, da geht es um das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, welches selbst schon einen auf falschen Einheiten beruhenden Denkfehler enthält, es geht um Körper, Affekte, wahres und falsches Leben. Alles läuft irgendwie darauf hinaus, das „gewünschte Ergebnis“ zu erzielen. Auf dem Weg dahin die alten Parolen: Destituiert euch, seid unregierbar, Regierung absetzen, Polizei angreifen, eigene Entwürfe umsetzen.

Find ich ja alles nett, aber Riots hats schon immer gegeben, an die von 2016 kann ich mich nicht einmal mehr erinnern, und dieses Ideal von Wellblechhütten mit Gemüsegärten ist einfach nicht meins. Aber das Gute ist: Jeder kann ja seine eigenen Steine schmeißen gehen und am Ende wirds schon irgendwie passen.

Geschreiben am 18.07.19.

Foto von Pawel Janiak auf Unsplash