Rezension zu Thomas Kling: Botenstoffe

Barockes Stimmungsbarometer

In einer hübschen Essaysammlung legt der Düsseldorfer Performancedichter seine Einflüsse und Meinungen offen, bleibt damit aber leider hinter der sprachlichen Kraft seiner Lyrikformate um Längen zurück. Zu Beginn gehe ich den Hype um das 17. Jahrhundert und seine wiederzuentdeckenden Schätze, sein ästhetisches Vermögen, das sich durch die Überfülle und das Ornamentale konstruiert, noch wissbegierig mit, registriere die unbekannten Dichternamen, ihre Außenseiterstellung zu Hofe, das Jokulatorische, die Mündlichkeit, den Entertainmentfaktor mit einer gewissen Wertschätzung.

Die Adressaten von Klings George-, Trakl- und Benn-Exegese aber verschwimmen bald zu wackligen Strohfiguren, noch (2001) sind die literarischen Institute nicht omnipräsent, die akademische Nischenvernetzung steckt vielleicht in den Startlöchern, aber heutzutage hat doch jeder seine Fanbase, als Herausgeber der Priessnitz-Werke hat etwa Ferdinand Schmatz an der Angewandten in Wien gleich seinen eigenen Studiengang Sprachkunst eröffnet, es geht also kaum mehr um Gerechtigkeit und Anerkennung als um bloße Geschmacksfragen, Bachmanns Lyrik schwächer als Mayröckers, Gruppe 47 pfui, Deutschland bäh, Österreich yeah, ich kann mich zwar oft identifizieren, fühle mich aber selten angesprochen.

Im theoretischen Bezug nämlich stößt mir das Faible für Mündlichkeit und Dichterlesung bald auf, Dichtung passiert auf Papier, denke ich, gerade weil ich keine Ahnung von Sound habe, muss ich ihm eine Beliebigkeit attestieren, gegen die der gefühlsbetonte Schwärmer vergeblich anrennt. Irgendwann in der zweiten Hälfte des Buches sticht nur noch der Hang zu kulturszenischem Geschwafel und medioker-überschätzender Selbstinterpretation hervor, mit diesem Gedicht wollte ich das, mit dem anderen jenes sagen/zeigen, Begründungszusammenhänge von Sinnlosigkeiten und dann Echauffierung über Einzelne (die bösen Kritiker), die ein Foto von einem brennenden Schiff nicht mit dem ersten Weltkrieg zusammenbringen können, obwohl 1914 im Titel steht.

Antihermetische Polyvalenzen scheinen auf, da kann alles alles heißen, am Ende dann drei fürchterliche Gespräche mit Jens Balzer, in denen die staubigsten Allgemeinplätze ausgeklopft werden. Den Essays fehlt leider die sprachliche Konstruktionsfreude, inhaltlich wirken sie angestrengt und matt, ständig wird der Common Sense mühselig umschifft, politische Positionierung oder eine vernünftige Einordnung im Zeitgeschehen findet nicht statt. Aber wer weiß, vielleicht hatte er beim Interview oder ich bei der Lektüre einfach keine gute Laune, einige Passagen sind mir längst entflogen, die über Hermes, Catull und sonstige Antiquitäten berichteten, bestimmt nicht ganz verkehrt. Trotzdem werde ich vorerst mit Klings Gedichten Vorlieb nehmen, von denen ich noch allzu wenig verstehe, die aber mehr Spaß machen.

Foto von Carl Campbell auf Unsplash