Rezension zu Thomas Bernhard: Holzfällen

Hochgesellschaftliche Abgründe

Der Gattungstitel „Erregung“ trifft es ausgezeichnet. Ein aufgebrachter Ich-Erzähler hält seine Gedanken fest, oder vielleicht auch sein persönliches Erlebnis während eines „künstlerischen Abendessens“, welches die Eheleute Auersberger in ihrer üppig ausgestatteten Aristokratenwohnung in der Gentzgasse veranstalten, erster Bezirk, Wien.

Der Ich-Erzähler ist Schriftsteller, mit präziser Beobachtungsgabe gesegnet und mit genialischer, zynischer Einsamkeit verflucht. Im Haus versammelt findet sich eine elitäre kulturelle Oberschicht, in welcher der Erzähler quasi großgeworden ist, sich von ihr vor Jahrzehnten aber schon aus Gründen losgesagt hatte. Nur eine zufällige Begegnung auf der Straße führte zu dem Wiedersehen, aber Wien ist eben doch ein Dorf, scheint es, und den Ausschlag der Entscheidung gab der Selbstmord einer alten Freundin aus den Kreisen, die dem Erzähler so verhasst sind.

Keineswegs ist alles klar, die Positionen kompliziert, aber diese abgehobene Gesellschaft kommt mit nichts gut weg. Die Menschen produzieren sich, wie auch der Erzähler seinen Hass produziert, er nimmt Anstoß am Zuviel, am Protz und Prunk, und doch ist Vieles auch nicht gut genug, der Champagner nicht der allerbeste, vor allem aber versteht doch niemand was von Kunst, die tun doch alle bloß so. Sticheleien, Angebereien, grob kaschierte Unwissenheit prägen die Unterhaltung.

Der Ehrengast, ein Schauspieler vom Burgtheater, gibt mit seinem Erfolg als Ekdal in der Wildente an, er wird als Mittelpunkt gesetzt und wirft seine Floskeln in den Raum, in dem ein Großteil der Leute nur Statisten spielen. Der Gastgeber ist trunksüchtig und ausfallend, seine Frau besorgt die Häuslichkeit und das Soziale, eine preisüberladene Schriftstellerin versucht, die Form des anspruchsvollen Gesprächs aufzuführen, die aber an ebendiesem Anspruch scheitert.

In mäandernden, tief verschachtelten Sätzen wogt die akribische, vernichtende Beobachtung des Erzählers, sein Denken, sich zu einer Brandung auf, in zyklischen Wiederholungen verdichten sich die zahlreichen Konfliktlinien: bis zum Ausbruch, wenn man so will. Die Schriftstellerin drängt mit einer Frage nach dem Karrieresinn am Lebensabend auf den Schauspieler ein, der ihr dies wortreich, lautstark und präzise übelnimmt, und damit in die innerlich bleibende Erregung des Erzählers gewissermaßen einstimmt, was in selbigem eine kurze, bedachtsam distanzierte Sympathie aufflackern lässt.

In einem sprachlichen Feuerwerk lässt Bernhard seinen Erzähler starke Salven gegen die Borniertheit, Korruption und die destruktiven Abhängigkeitsverhältnisse dieser hehren, selbstgefälligen Möchtegernoberschicht schießen. Es ist alles falsch, wovon man träumt. Ich nehme aus diesem Buch nicht nur eine frische Idee von Sprache mit, sondern auch eine große Skepsis gegenüber der erfolgreichen Gesellschaft, fast ein Glück darüber, bislang so weitgehend von ihr fern geblieben zu sein.

Ich könnte tausend Arbeiten dazu schreiben, über Wiederholungen, Ebenen, Klang, Selbstmord (eine Weile dachte ich, am Ende bringt sich noch wer um, aber es stimmt, das wäre langweilig gewesen) und das gute Leben. Denn Holzfällen, das wäre ja eine Alternative.

Foto von Frederik Löwer auf Unsplash