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Rezension zu Thomas Bernhard: Das Kalkwerk

Stein auf Stein

Das Ehepaar Konrad, über das hier in verschlungenen Schleifen Bericht erstattet wird, lebt zurückgezogen im hintersten Winkel Österreichs in einem ehemaligen Kalkwerk, welches der Mann als Projektionsfläche aus seiner Kindheit für das eigene Geschick verwendet. In einem großen Block ist der Text nach den ersten, durch offene Absätze gegliederten Seiten arrangiert, der Einstieg wirft gleich in einer Überforderung sämtliche Namen, Strukturen und Heldentaten der Leserin zu Füßen, ein spitzer Scherbenhaufen, der darauf hinausläuft, dass der Mann die Frau erschießt / erschossen hat.

Die Vielschichtigkeit der Sichtweisen im dörflichen Gespräch wird mäandernd in Szene gesetzt, die feinen Unterschiede aber fallen hinter den monolithischen Kern der Berichte zurück: Die Frau, krank, gelähmt, verkrüppelt, nicht in der Lage, für sich selbst oder irgendwas zu sorgen, ein körperliches Wrack. Der Mann hält den Alltag am Laufen, pflegt sie daheim, das Verhältnis ist jedoch angespannt, verschiedene Konfliktherde schwelen. Von einer Studie ist die Rede, an der er seit Jahrzehnten arbeite, über das Gehör, und schleichend entfaltet sich, analog zum körperlichen Verfall der Frau, der geistige des Mannes.

Da wird eine Methode exerziert ohne Ergebnisse, Allgemeinplätze werden ausgetauscht und Ansprüche erhoben, aber in Wirklichkeit beobachten wir einen durch Prokrastination, Überschätzung und Fehlentscheidungen in Gang gebrachten Prozess der Selbstauflösung. All die in die Abgeschiedenheit des Kalkwerks gesetzten Hoffnungen erweisen sich als Trugschlüsse, Ablenkung gibt es auch so genug und an ihre Seite treten Wahrnehmungsstörungen, die nur schattenhaft über der Außenperspektive des Berichts liegen, aber durchaus ein psychotisches Erleben nahelegen. Körperlicher Verfall, geistiger Verfall, finanzieller Ruin und Einsamkeit greifen Hand in Hand, um gemeinsam eine Mühle in Gang zu setzen, aus der es kein Entrinnen gibt.

Mit eindringlichem Rhythmusgefühl zieht Bernhard behutsam die Fäden an, permanent steht alles unter Spannung, aber nie ergibt sich eine richtige Explosion, eine neblige, konjunktivische Unsicherheit legt sich über die Erzählung, als deren Hauptfigur nur ein mehrfach vermitteltes Dickicht von Berichten in Erscheinung tritt. Ein wahrer Maßstab für erzählerische Fähigkeiten, der wieder einmal mit scheinbar wenig materiellem Einsatz viel Licht auf das Innenleben des menschlichen Kopfes wirft, sofern mir diese naturalistische Unterstellung gestattet sei.

Foto von Jonny Gios auf Unsplash

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