Rezension zu Sylvia Plath: Die Glasglocke
Das Drama des begabten Mädchens
Die junge Esther Greenwood, Stipendiatin an einem Elitecollege, wuselt sich gerade durch ein einmonatiges Massenpraktikum bei einer New Yorker Frauenmodezeitschrift, wo sie sich Hummer und Kaviar in den Mund fliegen lässt, von einer Karriere als Schriftstellerin träumt und erste, unangenehme Erfahrungen mit Jungs aka dem Patriarchat macht.
Mit nicht einmal zwanzig Jahren findet sie sich bereits mit Preisen überhäuft, den Anforderungen der Gesellschaft jedoch kaum gewachsen. Die Praktikantinnen residieren in einem Mädchenhotel, werden aber trotzdem vom ruppigen New Yorker Nachtleben an- und abgezogen, wie Puppen behandelt, begrapscht, verkuppelt und vergewaltigt.
Direkt im Anschluss an den blutüberlaufenen sexuellen Übergriff, zurück in der Heimat in Boston, erfährt Esther von einer Absage eines für sicher gehaltenen Aufenthaltsstipendiums und stürzt durch die unglückliche Koinzidenz heterogener Ereignisse in eine existenzielle Krise. Trauma, Burnout und das schwer erträgliche bürgerliche Elternhaus wecken konkrete Selbstmordpläne in der jugendlichen Ich-Erzählerin, die mit ihrer gesellschaftlichen Stellung ringt, bis sie sich nach ausgedehnten Überlegungen mit einer Überdosis Schlaftabletten in ein schwer zugängliches Kellergewölbe des Hauses der (verwitweten) Mutter zurückzieht. Sie überlebt jedoch und wird von der Mutter entdeckt, die gerade in ihrer hilflosen Fürsorge eine irgendwie schlechte Figur abgibt.
Eine lange Reihe von psychiatrischen Behandlungen und Klinikaufenthalten nimmt hier ihren Anlauf, wobei die Brutalität und Willkür dieses Systems Ende der 60er Jahre mit seinen Elektroschock-, Insulin- und Lobotomietherapien schonungslos offengelegt wird. Antriebslos verharrt Esther in ihrem Zustand, den sie in erster Linie als Schreib- und Leseblockade beschreibt, ohne sich mit deren möglichen Ursachen auseinanderzusetzen; jeder aufschimmernde Hoffnungsfunke neuer Ärzte, Umgebungen und Therapien wird alsbald im Keim erstickt, da sich die ärztlichen Beobachtungen und Maßnahmen nicht mit dem inneren Empfinden decken.
Schließlich vollzieht sie ihre Entjungferung mit einem 26jährigen Mathematikprofessor und landet daraufhin mit starken Blutungen im Krankenhaus, die offenbar einer abnormen Ansammlung des Menstruationsprodukts im Körperinneren geschuldet war, was auch dieser ersehnten Erfahrung selbstbestimmter sexueller Aktivität den letzten Glanz nimmt. Eine andere Figur jedoch, Joan, eine Vorgängerin in Sachen Jugendliebe, spätere Freundin und Konkurrentin in der Psychiatrie, nimmt sich schließlich durch Erhängen vor den Toren der Anstalt das Leben, während Esther, nach insgesamt doch nur einem halben Jahr (es wirkt so ewig) entlassen wird, um ihr Studium fortzusetzen.
Schön gearbeitet sind eine Reihe von Blackoutmomenten und Delirien, die sich nahtlos in die offene Erzählweise einfügen, überhaupt fällt ein häufiges Einhergehen von Absatz- mit Perspektivwechseln ins Auge, während sich im Hintergrund eine filigrane Metaphorik des Schwimmens, Tauchens und Abgeschiedenseins von der Welt entfaltet. Der Übergang von einer harmlosen Teenagerschnulze zur apathischen Psychiatriekritik ist ein willkommener Genuss, viele Feinheiten des Entwurfs gehen bestimmt auch in der deutschen Übersetzung verloren, und natürlich habe ich dieses Buch bereits in der Uni gelesen, dort aber, in meiner postmodern-akademischen Verblendung, nicht in seiner vollen Schönheit wahrnehmen können.