Rezension zu Sheshepop: Oratorium
Befindlichkeitstheater. Abendverschwendung. Tirade
Es beginnt mit einem projizierten Text, den das Publikum bzw. Teile davon sprechen sollen, und es hört nicht mehr auf. Mit Brecht soll das was zu tun haben und mit der vierten Wand, auf der Bühne bilden sich Chöre und singen Lieder, wild zusammengewürfeltes Stückwerk aus dem Laientheater wird vorgetragen und durch vom Publikum eingeforderte, dem Publikum diktierte, Zwischenrufe als Persiflage vor echten Zwischenrufen immunisiert.
Es ist ein bisschen so wie Peter Handkes Publikumsbeschimpfung, nur in seltsam verdreht und viel viel schlechter. Das Publikum darf sich identifizieren, als junge Männer ohne festes Einkommen, als Mütter ohne Altervorsorge, gut und nicht so gut situierte Rentner*innen, Theaterwissenschaftler*innen, Klassenkämpfer*innen und weiß der Geier was für prekäre Identitätsgrüppchen da noch gebildet werden, um die anderen Gruppen, die da oben, Kapitalisten, Eigentümer*innen, Erb*innen und das System lauthals zu übertönen und bloßzustellen. Das Publikum freut sich und macht eifrig mit.
Einerseits dürfen sie tatsächlich Sachen sagen, die wahrscheinlich schlauer sind als dem einen oder der anderen eingefallen wäre (ein Textbeispiel ist überflüssig, denn ich behaupte, dass so ein Publikum als holistische Masse sehr dumm ist), und wenn man andererseits blind etwas vorliest, das man so in Wirklichkeit gar nicht sagen würde, ist das ja auch sehr lustig.
Dabei wurde versucht, auch Skeptikern, Kritikern und Mutlosen eine Stimme, also einen Text zu geben, aber die durften immer nur fragen, ob da noch etwas kommt oder Theaterkritiker spielen. Aber ich konnte mich mit euren albernen Opferkategorien nicht identifizieren, obwohl ich wirklich gute Voraussetzungen hätte, vielleicht waren meine Voraussetzungen so gut, dass ich Mitleid mit der Selbstgefälligkeit und aufopfernden Hingabe des anderen Publikums kriegte, auf jeden Fall wollte ich kein Wort sagen.
Auf dem Höhepunkt werden Erb*innen aus dem Publikum auf die Bühne gezerrt und ihr zu erwartendes Gesamtvermögen bilanziert: gefühlte 15 Leute kommen auf 6 Millionen Euro oder so, eine wirklich lächerliche Summe für diesen Akt des diktierten Klassenkampfes. Ansätze von Verständnis und Versöhnung kommen auf. Aber es sollte doch um die Eigentumsfrage gehen, um Wohnungsnot, Zwangsräumungen, achso, nein, es geht auch um den Müll des Nachbarn und Lärmbelästigung. Rassismus, sexuelle Belästigung, behindertengerechtes Wohnen. Alle Positionen kommen vor, nur nicht meine eigenen, die Künstler „sollen doch putzen gehen“ heißt es mal, aber von produktiver oder auch unproduktiver Langzeitarbeitslosigkeit haben die Leute auf der Bühne anscheinend noch nie gehört, Depressionen sind höchstens mal für einen hochnäsigen Witz gut. Der ganze Interaktions- und Identitätsblödsinn grenzt mich permanent aus, am Ende habe ich mich bereits so an die Verweigerung gewöhnt, dass es mir nicht einmal unangenehm ist, auf den Applaus zu verzichten.
Als die blamierten Erben auf der Bühne ihren Text runterleierten, sagte meine ähnlich entsetzte Begleiterin, jetzt könne man auch gut etwas werfen. Ich stimmte zu, gab aber zu bedenken, dass man damit nicht die personifizierten Erbinnen, sondern vielmehr die schlechte, „systemtragende“ Performance des Stücks als Ganzes treffen sollte. Ich wäre wirklich gerne eines dieser Hassobjekte gewesen, ein Millionenerbe oder so, und hätte die Beteiligten für ihr Gehabe ausgelacht. Am liebsten hätte ich einen Koffer voller Bargeld auf die Bühne geworfen, um wahlweise das Verteilungsdrama zu genießen oder die Anstellung richtiger Schauspieler*innen und Autor*innen zu fordern. Ich muss sagen, dieses Stück hat mir nicht gefallen.
P. S.: Auch gut: Eine sogenannte Schriftstellerin beklagt sich, dass selbst der Literaturnobelpreis kaum für eine Wohnung im Prenzlauer Berg reiche, und das sei ja das höchste, was man als Schriftstellerin erreichen könne. Vielleicht sollte sie mal mehr Gespräche mit den Autor*innen von Zauberlehrlingsbüchern und Lifestyleratgebern führen.
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Geschrieben am 04.10.2019.
Foto von Christine Roy auf Unsplash