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Rezension zu Sarah Kane: Zerbombt

Unspielbar, obszön, wundervoll

Fünf Szenen, ein sehr teures Hotelzimmer, an den Szenenübergängen Regen, der den vier Jahreszeiten folgt, aber auch unmittelbare Anknüpfungspunkte an das vorherige Geschehen. Ian ist 45, Cate 21. Sie hatten mal was, jetzt treffen sie wieder aufeinander. Ein extremes Machtgefälle ist in jedem Wort präsent und wird beständig durch Handlungen und Requisiten manifestiert.

Ian raucht, trinkt, fingert an seiner Pistole herum und ist unablässig sexuell fordernd bis übergriffig. Cate bittet, entschuldigt sich, stottert und wird, literally, ohnmächtig. Die Hierarchie schmerzt mit ihrer Hoffnungslosigkeit und drückt sich als physisches Gewalt- und Vergewaltigungsverhältnis auf. Ian spielt mit Cates sich wiederholender Ohnmacht, er bietet ihr an, ihn zu erschießen und besteigt in der zweiten Szene ihren reglosen Körper, „simuliert“ Sex und „kommt“.

Ihren vielleicht stärksten Moment hat Cate, als sie aktiv verführend Oralsex an Ian vollzieht und im Moment des Höhepunktes - schon sein vierter, wenn ich richtig rechne, aber der erste halbwegs konsensuale - zubeißt. Aber selbst dieses Aufbäumen bleibt ohne anhaltende Wirkung. Als sie im Badezimmer verschwindet, betritt dafür jedoch ein Soldat die Szene, der Ian mit Leichtigkeit entwaffnet und das Machtverhältnis an sich reißt. Das Hotelzimmer wird zum Kriegsschauplatz, die Gewalt eskaliert, der Soldat vergewaltigt Ian wortwörtlich auf der Bühne und beißt ihm die Augen aus.

In der vierten Szene kehrt Cate mit einem Baby zurück, der Soldat hat sich erschossen, Ian ist blind und verzweifelt. Er fleht Cate um Assistenz beim Selbstmord an, aber die leert den Revolver, bevor sie ihn Ian gibt. Statt des entschlossenen Selbstmörders stirbt das Baby an seiner Mangelernährung. In der letzten Szene schließlich zieht Cate die resignative Konsequenz aus ihrem Opferstatus. Sie prostituiert sich, um Essen aufzutreiben, während Ian in einem letzten obszönen Exzess ohne jede Spur von Reue oder Läuterung verendet (er hat das Baby gegessen).

Die Akzeptanz ihrer Ohnmacht lässt Cate ihre sexuelle Selbstbestimmung, ihren Vegetarismus und ihre Abneigung gegenüber Alkohol vergessen. Als trauriger Hauch von Empowerment oder Scheitern, weil der Sieg nie in ihren Kräften lag, füttert sie den untoten Ian mit den Resten. Und hier, man glaubt es kaum, ein Funken, Fetzen, letzter Rest von Hoffnung: Der tote Kopf sagt: Danke.

Ein unglaubliches Stück von großer sprachlicher Gewalt, das mit unerfüllbaren Regieanweisungen ebenso überzeugt wie mit seiner notwendigen Unmöglichkeit der Ausflucht. Der absolute Tabubruch ist ihm eingeschrieben, gleich auf mehreren Ebenen, da wird aktive, echte Gewalt gefordert, in Regieanweisungen das Schmerzlevel hochgesetzt, die Grenzen sexueller Selbstbestimmung werden niedergerissen und die absolute Ohnmacht ausgestellt. Jede Inszenierung muss dahinter zurückbleiben und wandert auf einem schmalen Grat zwischen Selbstzerstörung und Lächerlichkeit. Es fällt nicht leicht, mit Hoffnungslosigkeit umzugehen, eine mächtige Enttäuschung ist hier am Werk: Machen wir uns keine Illusionen. Es schmerzt, davon so überzeugt zu sein.

Foto von Nicolás Varela auf Unsplash

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