Rezension zu Samuel Beckett: Warten auf Godot

Oder womit man sonst so seine Zeit verbringt

Estragon und Wladimir warten auf Godot. Warum, das wissen sie nicht genau, sie haben so eine Art Verabredung für den frühen Abend, manchmal Angst, Godot könnte ihre Abwesenheit bestrafen und manchmal Hoffnung, dass noch irgendwas passiert. Sie vertreiben sich die Zeit auf mysteriöse Weise mit ihren alltäglichen Problemen, mit drückenden Schuhen und Hüten, Ansätzen von Unterhaltung und Schlaf, bis irgendwann Pozzo und Lucky die Bühne betreten.

Die beiden sind ein Herrschaftsverhältnis in Person, Pozzo gibt sich hochadelig und gönnerhaft, während er Lucky als Hund oder Schwein an der Leine führt, einen Haufen Gepäck tragen und alle möglichen Dienstleistungen verrichten lässt. Estragon und Wladimir schwanken zwischen Faszination und Abscheu für dieses scheinbar unidirektionale und von absurder Brutalität gezeichnete Verhältnis, das nur kurz in einem Anfall Pozzos, der um Gnade fleht, in Frage gestellt wird, bevor er wieder Leine und Peitsche ergreift und Lucky Kunststücke präsentieren lässt. Zuerst soll er tanzen, dann denken. Sein Tanz jedoch wird nach wenigen Bewegungen erst von Pozzo, dann von ihm selbst, seine ungelenke Wiederholung wirkt maschinenhaft, unterbrochen und dieser Eindruck wird durch sein Denken, das sich in einem mit wissenschaftlichen Redewendungen gespickten, aber gänzlich zusammenhang- und grammatiklosen Monolog ergießt, umso mehr verstärkt.

Da ist von Gottesvorstellungen die Rede, von Klima, Geologie, Biologie, Sport und Psychologie, das anfängliche Interesse der Zuhörer sinkt, ja artet geradezu in Gewalt aus und den Versuch, den Vortrag zu stoppen, was schließlich durch Entfernung des irgendwie mit dem Denkprozess verknüpften Hutes gelingt. Der völlig apathische Lucky wird anschließend durch Wiederherstellung seiner Traglast zurück auf die Beine gebracht, er scheint regelrecht von der Unterdrückung abhängig zu sein. Unter Peitschenhieben verschwinden er und Pozzo von der Bühne, während die anderen beiden mit dem Zeitvertreib, der Konversation, fortfahren.

Ein Junge überbringt Nachricht von Godot, dass dieser heute nicht käme, aber morgen. Die kleinen Schleifen des permanenten Frage-und-Antwort-Spiels ergießen sich in eine große Zeitschleife der irgendwie bekannten, déjà-vu-haften Wiederholungen, die Nacht bricht plötzlich herein und der zweite Akt steigt auf. Davon nur Andeutungen der Unterschiede: Der Baum hat Blätter, die Schuhe wurden durch ein zunächst passendes Paar ausgetauscht, die Herrschaftsorgie fällt aus, Pozzo ist blind (oder tut so), Lucky stumm und nacheinander reißt es die beiden und dann auch Estragon und Wladimir zu Boden. Nur mühsam kommen sie wieder auf die Beine, am Trott der Geschichte hat das alles aber nicht viel verändert, Selbstmord, Ausbruch, einfach Gehen wird in Erwägung gezogen, aber am Ende stocken sie doch wieder in der Handlungsunfähigkeit fest: Sie warten ja auf Godot.

Der Text erscheint hermetisch gegen Sinnzuschreibungen abgeriegelt, während die Arbeit am Schloss in alle Richtungen Funken sprüht. Über die umfangreiche bestehende Textexegese werde ich wohl kaum hinauskommen, ja sie nicht einmal erreichen, aber halten wir einige Allgemeinplätze fest. Godot könnte Gott sein und die Menschen müssen sich die Zeit vertreiben, ohne ihn je zu Gesicht zu bekommen. Die phonetische Nähe von Godot, Pozzo, Gogo (Estragons Spitzname) und Gobo/Gono (Pozzos Idee) deutet mögliche Verwechslungen an. Das Herrschaftsverhältnis zwischen Pozzo und Lucky lässt sich wunderbar mit Bedeutung füllen, etwa der Herrschaft des Geistes über den Körper, des Über-Ichs über Ich oder eher noch Es (Lucky wird ja als Schwein beschimpft; eine weitere phonetische Zauberkiste: Estragon = Gogo = Ego, Wladimir = Didi = Du, Lucky = Luck = Glück/Zufall), aber auch ganz simpel des Kapitals über den Arbeiter, Herr/Knecht undsoweiter.

Technisch ist die hermetische Verriegelung der Dialogschleifen hervorragend gelungen, eine geheime Kraft treibt den ereignisarmen Text voran, der ausführliche Gebrauch sehr konkreter, aber in ihrer Bedeutung undurchsichtiger Regieanweisungen (das An- und Ausziehen der Schuhe, das Tauschen der Hüte, die Festlegung bestimmter Orte auf der Bühne) trägt wesentlich zur Geheimnisbildung bei. Daraus kann man nur lernen, dass Unsicherheit eine bedeutende Rolle bei der Planung eines Theaterstücks oder sonst eines Textes spielt, und man muss diese Unsicherheit gezielt in das Gefüge einbauen, Diskursverschränkungen und Ebenenwechsel gestalten und tatsächlich auch mal Mut zur Lücke zeigen. Blabla, Meisterwerk, dies und das, Superinspiration, Menschheit, Zukunft, Ungewissheit, großartig.

Foto von Артём Мякинник auf Unsplash