Rezension zu Roland Schimmelpfennig: Der Riss durch die Welt
Klassenfrage ist auch schön
Ein jüngeres Künstler*innenpärchen fährt auf die unsagbar schöne Naturvilla eines Mäzenatenehepaars: Holz, Glas, Beton mit einem unwirklichen Ausblick über Berge und Stadt. Das Projekt, mit dem sie offenbar Geld von dem hauptberuflichen Satellitenarbeiter abstauben wollen, ist der titelgebende Riss in der Welt, irgendwas mit Klassenfrage, über die das Pärchen elaborierte Ausführungen halten kann, moderne Sklaven, Blut, Müll, Umweltzerstörung undsoweiter, aber irgendwie läuft das alles ins Leere.
In drei „Akten“ mit jeweils dutzenden nummerierten Miniszenen, die in mehreren Schleifen die Momente des Abends skizzieren, beißen sich die Künstler*innen mit ihrer verkürzten Kapitalismuskritik an dem gleichfalls irgendwie für das Gute kämpfenden Unternehmer, der seine Villa spielerisch als „Hütte“ bezeichnet, um vor dem Krieg gegen die Paläste gefeit zu sein (jaja, das hat der junge Georg Büchner geschrieben, nur damit das dann auch mal gesagt ist), die Zähne aus.
Die wichtigsten Schleifen: Der alte Mann belächelt den jüngeren oder lacht ihn aus, was dieser sich etwas reizbar verbittet. Der Junge Mann wirft ein (gefülltes) Glas gegen die Wand. Der alte Mann begehrt die junge Frau (seine eigene Frau ist gar nicht so viel älter, also ebenfalls bereits viel jünger als er). Die etwas ältere Frau begehrt (aus Rache) den jungen Mann. Der alte Mann verbrennt Geld. Und immer wieder: Der Ausblick, der Garten, die Einrichtung, die Bücher, die Kunst.
Das ist durchaus unterhaltsam aufeinander abgestimmt, den Dreh- und Angelpunkt der Dramaturgie aber bildet das Hausmädchen Maria, die als subalternes, gegenüber den anderen Figuren immer wieder sprachlos(gemacht)es Idol konzipiert ist, als die wahre Unterschicht, zu deren Emanzipation das ganze Kunstgefasel höchstens in einem appropriativen, meistens eher in gar keinem Verhältnis steht. Der junge Mann, der immer wieder mit seiner vermeintlichen Drogendealer-, Türsteher- und Ghettoidentität hofieren geht, verrichtet indessen mit seinem permanenten Gläserwerfen noch die meiste Arbeit, und das ist dann wohl auch die Pointe des Stücks: eine unabänderliche Hilflosigkeit der Kunst gegenüber den Problemen der wirklichen Welt, so sehr sie sich auch um den Perspektivwechsel bemühen mag.
Mit großer Übertreibungskunst gelingt es Schimmelpfennig, sämtliche Ressentiments gegen reiche, alte, weiße Männer einzuhegen, aber trotzdem den Anschein einer differenzierten und objektiven Herangehensweise zu wecken. Alles ist so kompliziert, sagt das Stück, und gleichzeitig: so ein Luxus, das gehört sich aber nun wirklich nicht. Mich erstaunt jedenfalls, dass sich die Klassenfrage immer öfter an diesen privaten Anstellungsverhältnissen zu entzünden scheint, als wären Haushälter*innen per se noch einmal Opfer eines ganz anderen Herrschaftsverhältnisses, als dies für Spargelstecher, Sexarbeiter*innen oder Lieferdienstkuriere gelte. Den Haushalt soll man gefälligst alleine machen, scheint ein verbreitetes neulinkes Moralgesetz zu lauten, und andererseits scheint diejenigen, die ihre Carearbeit an bezahlte Kräfte auslagern, permanent ein heuchlerisches schlechtes Gewissen zu befallen, welches sich in Sprachkonstrukten der Familienzugehörigkeit und einem Unwillen zur Benennung des Arbeitsverhältnisses Ausdruck verschafft.
Glücklicherweise bin ich noch nicht reich genug, um mir über derartige Fragen Gedanken machen zu müssen, aber grundsätzlich hege ich Zweifel an der immer wieder vorgetragenen Problembeschaffenheit. Arbeitsteilung ist eine gute Sache und Arbeit ist immer scheiße, insofern baut das Stück dann vielleicht doch auf einer etwas zu seichten Enthüllungsphantasie auf (Apokalypse und so).
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Foto von Frantzou Fleurine auf Unsplash