Rezension zu René Pollesch: Sozialistische Schauspieler sind schwerer von der Idee eines Regisseurs zu überzeugen
Konkrete Körper im Chor
Eine Regieanweisung bestimmt die Form: Die sechs Schauspieler*innen bilden einen Chor, aus dem Einzelne immer wieder als Gesprächspartner*innen heraustreten. Die einzelnen Rollen wechseln dabei frei durch die Schauspieler*innen hindurch, einerseits gibt es da die Liaison einer Frau mit verschiedenen Männern, die jeweils vor oder auf dem Fenstersims versteckt werden müssen, andererseits eine Geschichte um Inspektor Clueso, der mit der vermeintlichen Aufklärung eines Mordfalls beschäftigt ist (was allerdings auch als Ablenkungsmanöver für den Ehemann durch einen Liebhaber gedeutet werden kann).
Jedenfalls aber wird durch die chorische Anordnung beständig die Konstitution des Subjekts in der Postmoderne hinterfragt, mal freut sich die Frau, im Bett von einer Vielzahl von Händen und Körpern berührt zu werden, dann wieder verlangt sie nach einem Partner, der er selbst, original/originell und kreativ sein sollte.
Einzug finden Bemerkungen über den litauischen Regieassistenten im grauen Kittel ebenso wie eine Reihe von Querbezügen auf die vorherigen Texte des Bands, etwa die kommunistische Führung, die zum Kapitalismus übergeht, Marx’ Zurückweisung der Repressionshypothese und Robert Pfallers Konzept der Interpassivität. Das bestimmende Thema ist allerdings eher das der Liebe und Sexualität, das sich den Textenden „irgendwie aufdrängt, obwohl es doch so langweilig ist“.
Mit dem gender- und identitätsfluiden Chor werden slapstickhaft Monogamie und die heterosexuelle Matrix dekonstruiert, wobei die erfrischende Fröhlichkeit zu diesen Themen aus heutiger Perspektive, die gerne auf allzu viel Betroffenheit scharf stellt, überrascht. Das Ende liefert noch einen konkreten Interpretationsansatz, der sich selbst als unverständlich markiert: Das Stück als Verarbeitungsprozess des Todes der Mutter, für Recherchen fehlen mir sowohl Zeit als auch Interesse.
Durch das relativ strenge formale Spiel zwischen Chor und Individuen erhält das Stück eine wundervolle Struktur, die die Wahrnehmung einer gewissen Ganzheit in aller thematischen Vielheit befördert. Zur Unterhaltung hat es damit ebenso viel beizutragen wie zur konkreten Veranschaulichung der postmodernen Subjektkonstitution.
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Foto von Moreno Matković auf Unsplash