Rezension zu René Pollesch: Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen
Sozialistische Schauspieler sind schwerer von der Idee eines Regisseurs zu überzeugen
Die Komposition lässt sich nicht in ein Gesamtbild rücken. Den Stoff liefert an diesem jüngsten Pollesch-Abend ein dünner Vorhang, der sich an zahlreichen Aufhängungen befestigt über dem Bühnenboden auf und ab bewegt und seine Funktionalität von wolkiger Dekoration, Beatvisualisierung und Zaubertuch bis zur Leinwand durchspielt.
Der Prolog ist ein Tod, der Epilog eine Geburt, links und rechts der Bühne je ein überdimensioniertes Foto einer Frau bzw. eines Mannes vor Zirkuszelt, ein tieferer Sinn oder persönliche Identität der beiden bleibt mir verborgen, sind die Bilder neu oder alt, bekannte Figuren oder Klischees, jedenfalls werden sie immer wieder mal angehimmelt für ihre Erscheinungen und der Zirkus mausert sich, auf dem Rosa-Luxemburg-Platz wie in einer der vielen Gestalten des Vorhangs, zu einem zentralen Bezugspunkt der neuen Intendanz.
Martin Wuttke und Kathrin Angerer spielen sich metadiskursive Bälle zu, Margarita Breitkreiz glänzt mit dem Wechsel vom französischen in den russischen Akzent, der den imaginären Szenenwechsel von Paris zu Tolstoi mit Stimmung füllt, mal verschwinden die Schauspieler*innen unter dem Vorhang, dann zaubert dieser, als der Vorhang selbst, ein weißes Kaninchen hervor, #metoo-informiert hagelt es Ohrfeigen, die hanebüchene Missverständnisse sühnen und sich im gleichen Atemzug dafür entschuldigen.
Weder Handlung noch Figuren bleiben greifbar, aber plötzlich himmelt Angerer da auf der großen Leinwand (Vorhang) das Foto des Zirkusmenschen an, wie aus einem alten Hollywoodstreifen, mit melodramatischer Musik untermalt, und diese kontextlose Andeutung des verlorenen oder unmöglich-gewordenen Ideals mischt die anfänglich beklagte Langeweile ordentlich auf.
Natürlich, alles ist schon einmal dagewesen, mit der neuesten Kunstidee eines schnorrenden und saufenden Roboters, der gerade durch sein Konsumverhalten dem Menschen näher komme als jede andere Maschine, reißt Wuttke erwartungsgemäß niemanden vom Hocker, hängen bleibt eher der Slapstick des auf seinen Rücken geschnallten, rauchenden Skeletts und ein Haufen von Allgemeinplätzen über die Kunst und das Spiel.
Das Stück erfüllt eigentlich alle Erwartungen, zu denen eben auch diejenige gehört, dass Pollesch sich schwerlich noch einmal völlig neu erfinden wird. Als der Vorhang schließlich vom Schnürboden segelt („fällt“), wirkt er ganz klein und formlos, dabei hatte er zuvor ja noch Innen- wie Außenwelt erst als solche konstituiert.
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Foto von Ryunosuke Kikuno auf Unsplash