Rezension zu Peter Handke: Zdeněk Adamec

Passiert da noch was?

Seltenes Vergnügen, so ein Theaterbesuch zu Pandemiezeiten, dachte ich, übermorgen werden die Häuser schon wieder geschlossen, und freute mich auf diesen Abend und den postnobelpreisigen Text Peter Handkes. Es soll ja Autor*innen geben, die nach dieser höchsten aller Auszeichnungen noch einmal richtig aufblühen in ihren Theatertexten, ich denke an Elfriede Jelinek, dass dort eine süffisante Selbstreflexion und Befreiung einsetzt, ein konventionsloses Aufblühen.

Im Deutschen Theater allerdings war leider nichts dergleichen zu spüren. Da stehen sechs Reisende in einer Art Transitraum mit Heiligenbildern an den Wänden, massiven Holztischen und Bänken, einer Musikbox am Rand, und berichten vom Hörensagen. Zdeněk Adamec, ein Junge irgendwo aus dem tschechischen Hinterland, übergoss sich, 18jährig, im Jahr 2003 mit Benzin und zündete sich an. Warum?, fragen die Schauspieler*innen, was ist da passiert?, und tragen Zeitungsberichte und Anekdoten, Ortsbeschreibungen und Selbstzeugnisse zusammen.

Strenge Eltern, die das Kind von anderen isolieren, eine Mutter, die den Sohn bis ins Teenageralter hinein an der Hand in die Schulklasse führt, introvertierte, ja sozial inkompatible Charakterzüge, keine Freund-, keine Liebschaften. Eine Lichtung im Wald, auf der das Kleinkind zwischen Blaubeersträuchern alleingelassen wird, später eine vermutete Nähe zu einer Bewegung namens Darkers, die sich für die Abschaltung elektrischer Lichtquellen einsetzt, mit Sabotagemethoden oder so ähnlich.

Die Berichte sind leblos, distanziert, unbedeutend, Figuren stehen da nicht auf der Bühne, eher NPCs, Leute, die ihren Text runtersagen, ich denke die ganze Zeit an Coronatheater, weil niemand interagiert und Abstände peinlich genau eingehalten werden. Jedes Räuspern der Schauspieler*innen, jede Bewegung stelle ich vor den Hintergrund der Pandemie, die Kommentare zur Apokalypse, zum Weltuntergang, das Auseinanderfahren des Bühnenraums, welches das Auseinanderfallen der Welt repräsentieren soll, müssen sich an der gegenwärtigen Krise messen lassen.

Ein einziger emotionaler Ausbruch kulminiert in einer flüchtigen Umarmung zweier Schauspieler*innen, die erst revolutionär wirkt, dann jedoch lächerlich, künstlich und unvermittelt, wie ein Coronawitz. Der ganze Abend verliert sich in seiner Subjektlosigkeit und im Gehörthaben, ohne diesen Zustand angemessen zu reflektieren. Unbedeutend und langweilig wechseln die Figuren die Plätze, kreist ihre Rede um das Unverständliche, ohne irgendwas zu enthüllen, da ist keine psychische Krise zu sehen, keine ideologische Verbohrtheit, auch eine politische Deutung wird explizit ausgeschlagen – aber am Ende steht man irgendwie vor einer angeblich zerfallenen Welt, von der man aber nicht weiß, wie es dazu gekommen ist, und vor einem Selbstmord mit ungewöhnlichen, öffentlichkeitswirksamen Mitteln, die aber irgendwie ins Leere weisen.

Die Aufmerksamkeit der internationalen Presse für den Fall, sein Wiederaufgreifen durch einen Literaturnobelpreisträger siebzehn Jahre später, erscheinen unnötig und aufgeblasen, da ist keine Botschaft und keine gesellschaftliche Relevanz, und ich empfände es als Naivität, in dem drögen Herumreden eine gelungene Interpretation der Sinnlosigkeit zu vermuten. Mit schnippischen Kommentaren zu langen Sätzen und der angeberischen Exaltation altsprachlicher Worthülsen geht dem Text auch jeder formale Anspruch verloren, keine Ahnung, ob das so vorgegeben war, es wirkt eher, als hätte sich irgendeine Museumspädagogin nochmal drangesetzt, diesen bildungssprachlichen Handke dem niederen Theatergängervolk begreiflich zu machen. Jedenfalls nicht schade, dass es damit vorerst wieder vorbei ist.

Verfasst am 31.10.2020. Inszenierung am Deutschen Theater Berlin, Regie: Jossi Wieler.

Foto von arman khadangan auf Unsplash