Rezension zu Max Frisch: Schwarzes Quadrat
Die Utopie als Nicht-Ort
Es sind seine letzten Worte, fast, diese beiden Poetikvorlesungen, die Max Frisch 1981 an einer New Yorker Arbeiter- und Immigrantenuniversität hielt. Über die Umstände geben uns ein Vor- und zwei Nachworte ausführlich Auskunft. Das Buch muss ja irgendwie voll werden, scheint es, sagen auch die überdimensionale Schriftgröße und die ebensolchen Seitenränder. Aber das kann kein Vorwurf sein, die Einfachheit, Kürze, Schlagwortartigkeit des Textes, die gleich mehrfach auf Unsicherheiten in der englischen Sprache zurückgeführt wird. Es sind eben Vorlesungen, und zwar ausgesprochen gut komponierte, die Akzente anregen, Schwerpunkte setzen, Persönlichkeit zeigen.
Die erste Vorlesung widmet Frisch der Motivation des Schreibens, seines Schreibens. Poetik, so lernen wir, ist keine Theorie, keine Methode, kein Rezept, zumindest kann Frisch so etwas nicht vorstellen, sondern Poetik ist vielmehr selbst eine Erzählung. Literatur ist immer auch ein Entwurf unserer selbst, wie das ganze Leben überhaupt, aber der Schriftsteller ist der einzige, der es auch so benennt. Schreiben dient nicht als Brotberuf, sondern stellt sich selbstbezüglich gegen die Widrigkeiten der Welt, des Lebens: Notwehr, Therapie. Die Auszüge aus seinem Tagebuch schmeicheln jeder Form des Ausdrucks, indem sie ihr eine innere Notwendigkeit verleihen.
Die zweite Vorlesung setzt sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung auseinander, die die Literatur trägt – oder eben auch nicht. Brecht spielt hier eine Rolle, Frisch berichtet von einem schiefgelaufenen Treffen, spricht ihm aber zugleich als einzigem Vertreter einer engagierten Literatur die Vereinbarkeit mit den künstlerischen Idealen zu. Im Allgemeinen, so betont Frisch, darf Literatur nicht den Zeigefinger erheben. Die Verantwortung, die sie trägt, ist subtilerer Natur.
Und hier kommt das titelgebende Schwarze Quadrat von Malewitsch ins Spiel. Die Geschichte erzählt von einem Botschafter, der zu Zeiten des kalten Krieges das Bild im peinlich gehüteten Archiv der UdSSR von der Zensur gezeigt bekommt. Er ist ergriffen von dieser, gewissermaßen, Doppelbödigkeit. Ein wichtiges, für den Kenner imposantes Kunstwerk, ohne Frage, aber für den revolutionären bzw. konterrevolutionären Arbeit doch von keinerlei Interesse. Die Frau von der Zensurbehörde stimmt bereitwillig zu, aber offenbart zugleich das metaphorische Geheimversteck: Gerade die Abwesenheit von Arbeiterkämpfen, Hungersnot und Gulag in dem Bild weist über die Verhältnisse hinaus, es zeigt, dass es da noch etwas anderes, Unverstandes gibt, und gerade das wäre die wirkliche Revolution.
Und in genau solch einer doppelbödigen Funktion sieht Frisch auch die Literatur. Aufzeigen, dass es da noch etwas anderes gibt.
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Bild von Kasimir Malewitsch: Das schwarze Quadrat. Public Domain. Quelle: Wikimedia Commons