Rezension zu Matthias Varga von Kibéd: Ganz im Gegenteil. Grundformen Systemischer Strukturaufstellungen
Verlorenheit im Magischen Logizismus
Ein Buch für Querdenker soll es sein und für solche, die es werden wollen. Aber auch ein Buch über Systemische Strukturaufstellung; da gibt es wohl einen Zusammenhang. Die Wolkigkeit der Begriffe und ein Gestus der Erhabenheit durchziehen den ganzen Text, der viele unterschiedliche Funktionen, Referenzen und Absichten zu einem dichten Paket zusammenschnürt.
Es beginnt mit ein paar logisch-mathematischen Knobeleien und Witzen, die sprachliche/begriffliche Uneindeutigkeiten zu ihrer Pointe machen, hangelt sich dann an wenigen, aus dem Kontext gerissenen Sätzen von Wittgenstein und Mullah Nasreddin entlang, um sich irgendwie den Begriff des Problems (und der Lösung) zusammenzuschustern, bezieht dann wieder in bester Ratgebermanier den Leser mit ein, als hätte man sich dieses Buch nur gekauft, um seine Ehe oder seine Firma zu retten, nur um anschließend ausgesprochen komplexe Methoden der Problemlösung für Seminarkontexte, Gruppentherapien, irgendwelche sozialen Gefüge zu entwerfen und diese Methoden für den Leser gleichzeitig konkret anzuwenden und als pädagogische Handreichung für das eigene Consultingbusiness wissenschaftlich zu erörtern.
Der Universalitätsanspruch mutet dabei etwas seltsam an, von der persönlichen psychischen Krise bis zur Abwicklung von Unternehmenspleiten scheint sich die Methode der Strukturaufstellungen für alle Probleme zu eignen, Personen, Ideen, Gegenstände, Begriffe, Einstellungen und Überzeugungen, alles passt irgendwie rein, am liebsten wähle ich gleich den Nahostkonflikt oder die Klimakrise.
Und wie funktioniert das nun? Es gibt also einen Klienten (sehr wichtig: irgendwer muss ja dafür zahlen) mit einem Problem. Zunächst wird also das Problem des Klienten zurechtgestutzt, es muss lösbar sein mit den vorhandenen Ressourcen, also nichts mit Kapitalismus, keine überzogenen Wünsche, am besten besteht das Problem von vornherein aus einem Hindernisparcour oder einem ungültigen (das verheimlicht der „Leiter“ dem Klienten natürlich zunächst) Entweder-Oder. Dann wird das Ziel definiert: Woran würden Sie und andere merken, dass das Problem gelöst ist? Wie war die Situation, bevor das Problem auftrat?
Und schon läuft die Methodenmaschine, die nach und nach das Problem zerhäckselt. Einerseits durch logisches Denken, die Korrektur von Begriffen, Verhältnissen und falschen Schlussfolgerungen (das ist wohl dieses berüchtigte Querdenken, dass man auch mal an den Gartenschlauch denkt und nicht nur an Regen, wenn die Straße nass ist), andererseits durch die Aufstellung, also die Visualisierung/Manifestation der Bestandteile des Problems im Raum. In beiden Fällen werden mögliche Blickrichtungen zu Tode definiert und dekliniert, das Modell wird mit Schleifen, Rekursionen und Ebenen gefüllt, die dann so lange durchlaufen werden, bis das Problem verschwindet.
Durchdrungen ist das Ganze dabei von einem feinen Geäder von Esoterik und Magie, jedes Hindernis ist auch eine Ressource, alles hat seinen Grund, stellen Sie sich vor, ihr Problem wäre durch ein Wunder gelöst, Gesten und Worte können Gegenstände und Orte mit Bedeutung aufladen und damit quasi verzaubern (da ist mal ein Stuhl umgefallen, weil noch eine symbolische „Last“ darauf lag, oder eine Reihe von Übersetzer*innen hat ihren Job nicht hingekriegt, angeblich, weil sie auf einer mit der Repräsentation eines Psychotikers belegten Stelle der Bühne standen), auf die Betonung einiger Formeln wird besonderer Wert gelegt.
Mir war permanent unklar, wer ich für dieses Buch sein sollte. Mit einem logisch ausgebildeten, poststrukturalistisch vergnügten, metaphysik- und esoterikkritischen Anarchisten, der sogar noch einigermaßen glücklich mit seinem Leben ist, haben die Autor*innen anscheinend nicht gerechnet. Depressiven Yoga-Hippies sei es aber ebenso ans Herz gelegt wie konservativen Burnout-Unternehmensvorständen und überhaupt allen Leuten, die glauben zu wissen, wie die Welt funktioniert und trotzdem noch Probleme haben.