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Rezension zu Marcel Beyer: Das Menschenfleisch

Dichterisches Stückwerk

Es ist schwer zu sagen, was da passiert, denn eine Vielzahl heterogener Ebenen ist nahtlos ineinander geschnitten. Die Grundlage bildet wahrscheinlich ein männlicher Ich-Erzähler und eine weibliche Figur namens K., die sich in einem changierenden Liebesverhältnis befinden. Da deuten sich Treffen und Gespräch an, aber auch Beobachtungs- und Sexszenen, zwischenzeitlich sehr viel Eifersucht in einer Art Dreiecksbeziehung mit einem „anderen“.

Die Sprechpositionen und ihre Bezugsobjekte werden jedoch durch zahlreiche filmische Bilder verunklart, einer Fleischfressenden Pflanze, Antonin Artaud beim Schreiben oder in der Anstalt, Schlachthof-, BDSM- und Folterszenen, eine wechselhafte Ansammlung, die zunächst spannend und experimentell wirkt durch die plötzlichen Stimmungs- und Stimmenwechsel und die insgesamt eher lyrisch verdichtete Grammatik, aber irgendwann steige ich als Leser aus diesem reißenden Bilderfluss einfach aus, sehe sie ordnungslos vorüberziehen und vorbeigehen, keine Ahnung, wo die verschiedenen Ebenen anfangen oder aufhören.

Der ganze Kannibalismus und die Folter, so scheint mir, ist irgendwie metaphorisch gedacht, um die schmerzhafte Gefühlswelt des Ich-Erzählers zu illustrieren oder so, der auch immer wieder auf eine Art poetischer Selbstbeschreibung, ein Schreiben über das Schreiben, zurückkommt, aber mit dieser Irrealität, so kunstvoll sie auch gearbeitet ist, verlieren die Bilder an Gewicht, fliegen die Wörter einfach vorbei. Erst gegen Ende ist wieder ein Hauch von Struktur zu erahnen, Reflexion und Dämmerung setzen ein, Kreise werden geschlossen und Wortwendungen wiederaufgegriffen.

Den größten Genuss (Sinn) bereitet der Anhang, der eine Vielzahl von Quellen offenlegt, von denen die meisten irgendwie schon bekannt vorkommen, und schließlich, man mag es kaum glauben, das Inhaltsverzeichnis, welches den einzelnen Kapitelüberschriften kleine, äußerst prägnante Zusammenfassungen anbei stellt, die man sich während der verworrenen Lektüre nur allzu sehr gewünscht hätte.

Foto von charlesdeluvio auf Unsplash.

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