Rezension zu Lars von Trier: The House That Jack Built
Blut und Ästhetik
Jack ist Ingenieur, wäre aber lieber Architekt, und hat ein gewisses obsessive-compulsive-disorder-Problem, alles muss schön genau und ordentlich sein. Er möchte jetzt sein eigenes Haus bauen, hat auch ein schönes Stück Land gekauft, direkt am See, eine abgelegene Gegend, gefühlt irgendwo im mittleren Westen.
Auf der Landstraße aber wird er von einer Frau (Uma Thurman) angehalten, die den stoisch schweigenden Vanpiloten in einer von Untertönen durchfurchten Atmosphäre nach einem Wagenheber für ihr liegengebliebenes Auto fragt. Hat er aber nicht, will auch nicht helfen, wird aber von der engagierten Frau dazu genötigt, sie mitzunehmen zu einer nahegelegenen Schmiedewerkstatt, um dort den defekten Wagenheber der Frau zu reparieren. Dieses haarscharfe Am-Problem-vorbei-Lösen führt im Zusammenspiel mit dem ebenso unangenehmen wie nicht endenden Redefluss der Frau über die Möglichkeit, einem Serienmörder in den Wagen gestiegen zu sein, zu fortgesetzter Awkwardness, immer weiter wird Jack in das Autoproblem der Frau hineingezogen, fährt sie zum Schmied, dann wieder zurück zum Auto, setzt den reparierten Wagenheber an, der jedoch sofort versagt, erneut abbricht, nimmt die Frau abermals mit in Richtung Schmied, die mit immer dreisteren Neckereien auf den Unbekannten losgeht, solange, bis dieser ihr den ungeliebten Wagenheber mit tödlicher Wirkung ins Gesicht rammt (während der Fahrt).
Ein Affekt, denkt man, aber eine Art Therapeutengespräch setzt ein, Kunstbilder, Fragen nach Neurose und Narzissmus, die sich im Laufe der folgenden Incidents immer wieder dazwischen schieben. Das ruhige, analytische Gespräch steht im Kontrast zu der zunehmenden Brutalität einer Serienmörderkarriere, gut vernetzt mit dem Ortspolizisten treibt Jack im verschlafenen Hinterland sein Unwesen, lügt sich als Polizist, gewechselt auf Versicherungsmakler, in das Haus eines Opfers, eignet sich Techniken aus der Wildjagd an, um die zwei Kinder einer Mutter zu erschießen und mit den Leichen ein Kaffeekränzchen zu inszenieren, bevor er auch auf die Mutter anlegt und lagert die zunehmenden Leichen, teilweise creepy plastiniert, in einem ausrangierten Kühlhaus. Eigentlich ein vernünftiger Mann, der aber mit seinem Scheitern nicht zurechtkommt.
Innere Stimmen, Psychose und co. sind immer mal Thema, teilweise auch der Wunsch, gestoppt zu werden, aber selbst seine Offenbarung, ein offenes Geständnis, verklingt ungehört beim Polizisten, der Jacks in Panik versetzter Freundin und aktuellem Opfer empfiehlt, weniger zu trinken. Dann aber kommt ihm die Polizei wegen eines Raubüberfalls auf die Schliche, der gar nicht als Raub geplant war, seine Vertrauten, ein Hardwarestoreverkäufer und ein alter Jäger, kündigen die Solidarität auf und versuchen ihn festzusetzen, sterben aber dabei, weil sie sich bequatschen lassen. Der Ingenieur war auf der Suche nach einem Hohlmantelgeschoss für eine perfektionistische Massenexekution in seinem Kühllager (eine Kugel für vier Köpfe), kehrt mit dem Geschoss zurück, aber dann passt der Zoom nicht.
Der letzte Wendepunkt liegt hinter einer bislang verschlossenen Tür im Kühllager, wo Jack auf Verge trifft, den Mann mit der Therapeutenstimme, welcher ohne jede Verurteilung mephistophelisch auf den Serienmörder eingeht, ihn aus dem Leichenberg endlich sein Haus bauen lässt und ihm einen unterirdischen Fluchtweg vor der anrückenden Polizei durch die Kanalisation weist. Hier öffnet sich die Hölle, das Gespräch wie die visuellen Eindrücke werden zunehmend metaphysisch, Lavaströme, Wasserfälle, Elysium, eine abgebrochene Brücke, dahinter angeblich ein Ausweg aus der Finsternis. Jack glaubt, sich am felsigen Rand über den Abgrund hangeln zu können, Verge wünscht viel Glück, er hat so sehr gewarnt, wie möglich, aber Jack klettert steif vorwärts, bis er auf halbem Weg abstürzt in die Endlosigkeit.
Eine formale Meisterleistung des Regisseurs, die ein heterogenes Feld von Affekten bestellt und dabei eine irgendwie zynische, aber gerechte Perspektive einnimmt. Leistungsdruck, Schöpfungswille, Perfektionsanspruch und die Widerstände der Gegenwart werden am ungewöhnlichen Beispiel des Serienmörders paradigmatisch analysiert. Aber vielleicht finden Sie auch eine ganz eigene Deutung.