Rezension zu John Strelecky: Das Café am Rande der Welt

Bullshit vom Straßenrand

Ich hatte ja schon geahnt, dass dieser seltsame Bestseller, der jahrelang die Philosophieregale der Buchdiscounter belagerte, nicht gerade mit feinsinnigen philosophisch-psychologischen Betrachtungen aufwarten würde, aber die Flachheit der Charaktere, ihrer Probleme und Argumente ist selbst mit den niedrigsten Standards noch eine Enttäuschung.

Der Ich-Erzähler, der zufällig, wie wir erfahren werden, den gleichen Vornamen trägt wie der Autor, ist auf dem Weg in den Urlaub und steckt im Stau. Da die Aufräumarbeiten des ursächlichen Tanklasterunglücks noch weitere Stunden dauern sollen, wendet er kurzerhand auf dem Highway und irrt durch die Pampa. Keine Menschenseele weit und breit, vom Weg längst abgekommen, das Benzin knapp, strandet er orientierungslos (alles natürlich eine Metapher) im titelgebenden Café der Fragen. Wie eine Karikatur von einem Drogenjunkie sitzt er da, glotzt auf die verschwimmenden Buchstaben des Menüs und lässt sich von der Kellnerin Cindy in eine Art platonischen Dialog über den Sinn des Lebens verwickeln. Wirklich noch nie, betont der Unwissende, habe er von einer derartigen Frage („Warum bist du hier?“) jemals gehört, weder in Bezug auf einen konkreten Ort mit konkretem Zweck noch in Gestalt eines holistischen Sinnzusammenhangs, geschweige denn habe er gar darüber nachgedacht, was es mit diesem Leben auf sich haben könnte.

Schelmisch leistet Cindy den Gedanken des völlig von seinen Erkenntnisgefühlen Überwältigten Geburtshilfe, warnt vor den Gefahren des Fragenstellens, geht behutsam vor, weil er ja so viel nachdenken muss und Zeit dafür braucht und (Geistes-(lol!))Nahrung, daher, oh Unwahrscheinlichkeit, am Abend ein Frühstück bestellt: so beginnt das philosophische Zeitalter! Freilich, Sokrates, nun sehe ich es auch, wie konnte ich so dumm sein, murmelt John betroffen von der Einsicht, dass man sein Leben nicht mit sinnloser Arbeit ruinieren sollte, sondern sich lieber im Hier und Jetzt schon den Dingen widmen, die Spaß machen und erfüllen. Fische fangen zum Beispiel, spazieren gehen, Zeit mit der Familie verbringen, go with the flow der grünen Meeresschildkröte.

Cindy zur Seite treten der Inhaber und Koch Mike und Gast und Ex-Werbefachfrau Anne, um ähnlich seichtes Gewäsch über den Teufelskreis von Work Hard Play Hard-Konzepten und die intrigante Strategie der Werbung, Gefühle zu erzeugen, abzulassen. Trotz Studienabschluss mit 22 ist John wirklich von jedem Modus Tollens überfordert, offensichtlich hatte er noch nie ein Buch in der Hand und wurde erst recht nicht mit Monty Python sozialisiert, auch Southpark, Simpsons, Matrix, Sieben Jahre in Tibet und absolut sonst alles, was Hollywood seit sechzig Jahren zu diesem Thema rauf- und runterproduziert hat, ist vollkommen an ihm vorbeigegangen. Daher fixt ihn die Idee vom Zweck der Existenz (ZDE) sofort an, den es erst zu suchen und dann zu verwirklichen gelte.

Die ganze Nacht macht er durch und trippt auf den banalsten Erkenntnissen, die Erfüllung des ZDEs schafft Begeisterung, Begeisterung ist ein Virus, das in einem Schneelballsystem arbeitet und uns so, wenn wir nur immer genug darüber reden, wie sehr wir mit uns im Reinen sind, den perfekten Job schon irgendwie zuschustern wird. Die Vermittlungsleistung fällt in der wolkigen Argumentation gleichermaßen unter den Tisch wie die materiellen Voraussetzungen der einen oder anderen erfüllenden Tätigkeit. Wenn du es liebst, werden andere dich lieben, lautet der Tenor, im Kern also beißt sich die Kritik der neoliberalen Selbstverwertungsschlange in den Schwanz.

Dass der Künstler eine Leinwand erst beschaffen und sie nach getaner Arbeit auch noch an den Mann bringen, das heißt wieder loswerden (wollen und können) muss, dass die meisten von uns eben nicht einfach ihre eigenen Fische fangen, ihre eigenen Häuser bewohnen können, lässt der Autor locker unter den Tisch fallen, das würde die geistigen Kapazitäten seines Alter Ego mit Sicherheit auch sprengen. Kurz manifestiert sich in meinem Kopf schon ein Gegenentwurf der Erzählung: Ein in der Lethargie gestrandeter Philosophiedoktor und Lebemensch, der sein Glück mit Drogen maximiert und überhaupt noch nie an morgen gedacht hat, sich von Hartz IV (Entschuldigung, Bürgergeld) ernährt und in polyamoren Affären versinkt, stolpert in ein Bewerbungsgespräch bei einem ehrlichen Kaufmann (einer Bank, einer Anwaltskanzlei, Tesla) wird eingestellt und an die Buchhaltung, das Fließband oder in die IT gesetzt und muss völlig perplex lernen, dass diese Entfremdung Möglichkeitsräume schafft, dass man sein Essen nicht aus der Mülltonne fischen muss, dass Anstrengung ungeahnte Früchte trägt und es mit der Selbstverwirklichung auch überbewertet werden kann, besonders, wenn man sie als berufliches Ziel betrachtet.

Drogen, Sex und Reisen mögen ähnlich erfüllend sein wie Lesen, Schreiben und Malen, aber man müsste doch ganz grundlegend unterscheiden zwischen Produktion und Konsumtion, und Produktion, wie sie von mir bevorzugt wird, ist, das tut mir leid, Arbeit, das heißt, macht nicht immer Spaß, benötigt Planung, Investitionen, Rückschläge, Umdenken. Aber wahrscheinlich würde Strelecky noch behaupten, das ja auch irgendwie mitgedacht zu haben, dabei findet im Buch wirklich überhaupt nichts statt, das den Begriff des Denkens verdient hätte.

Die dümmsten Bauern (Bücher) haben die dicksten Kartoffeln (Rezensionen).