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Rezension zu Ingeborg Bachmann: Probleme Probleme

Performance gegen Wirklichkeit

Die 20jährige Beatrix will einfach immer nur schlafen. Das tut sie auch ziemlich ausgiebig, denn auf Studieren oder Arbeiten hat sie so gar keine Lust, die Anforderungen an junge Menschen, sich mit Interessen und Lebensentwürfen vollzupacken, aus denen dann doch nie etwas wird, gehen ihr gehörig auf die Nerven, ein Psychotherapeut bräuchte aber so spitzfindig gar nicht zu sein, um bei all dem Überdruss eine leichte depressive Episode zu diagnostizieren.

Wenn allerdings beispielsweise Erich, ihre aus der gesellschaftlichen Erwartung heraus, irgendetwas erleben zu müssen, geborene Affäre, sie morgens um zehn aus dem Bett klingelt, gelingt es ihr ohne Weiteres, am Telefon eine aktive und unternehmerische Stimme aufzusetzen, die keinen Zweifel an ihrer überdurchschnittlichen Gesellschaftsfähigkeit lässt. Erich ist 35, verheiratet und seine Frau hat gerade ihren dritten Selbstmordversuch hinter sich, Informationen (und Konkurrenz), auf die Beatrix gut verzichten könnte.

Bis zum Mittag schläft sie noch weiter, dann aber geht ob einer für den Abend mit Erich getroffenen Verabredung der Ernst des Lebens los: Zum allwöchentlichen Checkup kehrt sie im Schönheitssalon René ein, wo sie sich, in einem damenhaft hofierten Ambiente zwischen den weiblichen Geist- und Geldgrößen Wiens, dem vollen Programm unterzieht. Füße, Hände, Gesicht, Haare, überall gibt es noch eine avantgardistische Meinung kundzutun und einen professionellen Rat einzuholen oder sich mit einer höfischen Arroganz über das Kinderkriegen und die dadurch bedingte Abwesenheit der Lieblingskosmetikerin zu echauffieren. Ein ganzer Lebenssinn und -inhalt lässt sich, nicht gerade sympathisch, diesem Tratsch und Klatsch im Salon entnehmen, allzu künstlich schöpft die mit ungenügenden finanziellen Mitteln Ausgestattete hier ein oberflächliches Selbstwertgefühl aus der Zugehörigkeit, welches allzu schnell wieder ins Wanken gerät.

Das Design des eigenen Auftritts ist nicht bloß Genuss, sondern auch eine Qual, der Selbstwert speist sich aus der Erniedrigung des hilflos charmanten Personals und wendet sich anschließend in Zweifel an der eigenen Performance zurück, die, ob nun fremdverschuldet oder selbst-, im Spiegel ein hurenhaftes Gesicht entdeckt und Beatrix in einen regelrechten Nervenzusammenbruch stürzt. Weinend und zerstört rennt sie aus dem Laden, alle Absicht in ihr Gegenteil verkehrt, ohne zu bezahlen natürlich, und wischt sich auf der nächstbesten öffentlichen Toilette die Schminke aus dem Gesicht. Ohne die feinsinnige Analyse des Patriarchats darin so recht in Erwägung zu ziehen, wird sie mit dem tröstenden Zuspruch der Toilettenfrau doch einig: Ja, die Männer.

Muss, kann ich noch mehr dazu sagen? Einerseits scheint dieser psychische Druck, der in Tränen ausbricht, ja einem bornierten Selbsthass zu entspringen und einen ganz grundlosen Kontrollverlust hervorzurufen, andererseits aber ist der Anteil gesellschaftlicher Verhältnisse an den Schönheitsidealen mancher (vieler, aller?) jungen Frauen ja nicht von der Hand zu weisen und die Konkurrenzsituation um die wenigen nicht völlig idiotischen Männer, zu denen Erich vielleicht noch nicht einmal zählt, lässt auch wenig Hoffnung auf Solidarität. Die ärmlichen und unordentlichen Verhältnisse im Hintergrund dieser Frau, die sich in der Öffentlichkeit wie eine Aristokratin geriert, bringen die Widersprüche zwischen Performance und Wirklichkeit übertrieben greifbar zur Sprache, wir alle sind ja nicht, was wir sein wollen, und Bachmann gelingt es, alle naiven Oberflächlichkeiten ihrer Protagonistin in einen tieferen, systemkritischen Rahmen zu setzen. Ob ich wohl genug verstanden habe oder zuviel?

Foto von Greg Trowman auf Unsplash

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