Rezension zu Herbert Eulenberg: Die Insel

Feierliche Formalität

Im surrealistischen Setting einer entlegenen Insel flüchten sich einige verlorene Seelen vergeblich vor ihren liederlichen Konterparts in die Spiritualität.

Cosmo, der Gründervater einer Art religiösen Kults, lebt dort mit seinem niederträchtigen Bruder Munk, den er ob dessen Bösartigkeit in jungen Jahren zum Krüppel schlug. Cosmos Sohn Erwin, ein Künstler und Playboy, glänzt zunächst durch Abwesenheit, während dessen jugendliche Ex-Geliebte Sylphe auf der Insel die Trennung und den Tod des gemeinsamen Kindes zu verarbeiten sucht. Alertes, der Sohn Munks, wiederum wandelt auf dem Pfad der Tugend, er verkörpert eine spirituelle Dichterseele, erfüllt unter ständigem Wechsel von Versmaßen, Reimschemata und Selbstreferenzen aber auch eine ironische Vielzahl klassisch tragödienhafter Nebenfiguren vom Narren bis zum Boten.

Im ersten Akt besucht Dora, eine Freundin Sylphes, die Insel, und nach und nach werden die vertrackten Relationen der Inselbewohner*innen aufgedeckt. Im zweiten Akt kommt nach langer Abwesenheit Erwin auf die Insel, um seine Ex zurückzugewinnen, und bringt damit das gesamte Gleichgewicht der Insel zum Schwanken. Im dritten Akt entpuppen sich seine Absichten als egoman und betrügerisch (bzw. erschien das Zurückgewinnen schon vorher eher wie ein Racheplan und One-Night-Stand), er verlässt zusammen mit Munk die Insel und Sylphe abermals, nachdem die beiden den Tempel hinterhältig niederbrannten. Alertes bandelt zwischenzeitig mit Dora an, aber die verabschiedet sich bald. Munk stirbt auf der „Flucht“, während Cosmo, Alertes und Sylphe auf der Insel demütig von vorne beginnen.

Das formale Wechselspiel bietet ein ordentliches Lesevergnügen, die grob überzeichneten Figuren und ihr pseudophilosophisches Gehabe tragen ebenso ihren Teil dazu bei. Der zentrale Umschlagpunkt der Handlung jedoch, an dem die depressiv trotzige Sylphe von Erwin wiedergewonnen und gleich darauf wiederfallengelassen wird, ist leider auf Sylphes personaler Instabilität gebaut und lässt sich im Wortwechsel nur schwerlich argumentativ begründen. Die wiederholte ironische Selbstbeobachtung Alertes‘ und die stellenweise um Surrealismus bemühten Regieanweisungen geben dem Stück einen postdramatischen Verve, der auch heutzutage seinen Reiz noch nicht ganz verloren hat. Eulenberg sollte man im Auge behalten.

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