Rezension zu Herbert Achternbusch: Fünf Karpfen

Generationenfrage

Als „Theaterstück für eine Person“ liefert Achternbusch einen in sechs nummerierte Abschnitte gegliederten Text, in den sich verschiedene Stimmen hineinschreiben. Bestimmendes Motiv über die ersten fünf Abschnitte hinweg ist eine Art innerer Dialog einer Schwangeren mit ihrem ungeborenen Kind, das meistens männlich identifiziert wird.

Aus Perspektive der Schwangeren stellt der Embryo in den ersten drei Abschnitten eine Belastung dar, die sie loszuwerden versucht. Die Schwangerschaft ist bis zum dritten Monat fortgeschritten, wirkt durch das vermeintliche Rede-und-Antwort-Geben aber sehr viel ausgeprägter, was die vergeblichen Versuche der Schwangeren, durch Schläge, Sprünge und die Einführung von Objekten einen Schwangerschaftsabbruch zu erzielen, brutal und herzlos erscheinen lässt.

Ihr Schwager, ein Arzt, weigert sich aufgrund seiner katholischen Einstellung, einen medizinischen Eingriff durchzuführen. Mehrfach wird die Option des Selbstmords ins Spiel gebracht und beispielsweise durch nachgeahmte Laute eines nahenden Zuges untermalt. Die Stimme des Fötus ergreift indessen entschieden für das eigene Leben Position und bringt dazu nicht bloß ihre Gefühle, sondern auch moralische Argumente und Appelle an das Gewissen der Frau ins Spiel.

Durch einige Marker, sie ist Sportlehrerin, das Jahr 1938, wahrscheinlich auch die Bezüge zu Etterzhausen und Regensburg, lässt sich die zentrale Stimme der Schwangeren als die Mutter des Autors identifizieren; im Stück finden sich zahlreiche Bezüge auf die persönliche (Familien)Geschichte Achternbuschs, unter anderem ist dem Stück die Abbildung eines von seiner Tochter geschriebenen Aufsatzes über die Elternrolle im Tierreich vorangestellt, aber auch Annamirl (Bierbichler), Gerda (seine erste Frau), der (abwesende) Vater und andere finden Eingang in den Text (sein jung verstorbener Onkel).

Nach dem dritten Absatz folgt eine einseitige Pause, in deren Folge sich das aufgeladene Verhältnis zwischen Schwangerer und Fötus zu einem akzeptierenden Gespräch zwischen Mutter und ungeborenem Kind entwickelt, das gleichwohl immer noch von einem besorgten Revolver und jetzt viel Nazitratsch überschattet wird. Im fünften Abschnitt klingen ödipale Phantasien durch, aber auch die Ausbildung des Nervensystems des Ungeborenen wird verfolgt, die Schwangerschaft nähert sich dem Ende des vierten Monats, wobei die Entwicklungsperspektive auch deutlich macht, was bis zu diesem Zeitpunkt alles noch nicht ausgebildet wäre.

Der sechste Abschnitt wartet schließlich mit einer postdramatischen Wendung, nicht der ersten, aber der entscheidenden, auf, die diesmal sich als zehnjähriges Mädchen, eine Generation übersprungen, also als Achternbuschs Tochter identifizierende Stimme beschreibt ein Kissen, das sie unter ihrem Shirt hervorholt und in Fetzen reißt, entlarvt somit die Schauspielerei und lehnt sich zuletzt auch noch gegen die ihr vom Autor in den Mund gelegten Wörter auf. Dieser keine zwei Seiten lange Abschnitt ist ein wahres Fest der Dekonstruktion, das die Tragik der tiefen Konflikte von Schwangerschaftsabbruch bis Nazideutschland gar nicht abmildert, sondern vielmehr den moralischen Unwägbarkeiten eine ästhetische „Sicherheit“, wenn man die Repräsentationskritik denn so nennen kann, entgegen setzt.

Der innere Dialog und die Vielstimmigkeit des Textes sind handwerklich überzeugend umgesetzt, stellen mit ihrer Offenheit die Inszenierung jedoch auch auf die Probe. Dem detaillierten Inhalt des Stücks hätte etwas weniger Autobiographie und etwas mehr Dramaturgie vielleicht nicht geschadet (Sportlichkeit ist nicht der einleuchtendste Grund für einen Schwangerschaftsabbruch), die Form jedoch mit ihrem etappenweisen Fortschreiten bis zum Aufbegehren gegen den Autor ist souverän gemeistert. Chapeau!

Foto von Volodymyr Hryshchenko auf Unsplash