Image undefined

Rezension zu Herbert Achternbusch: Der Weltmeister

Gerade noch die Kurve gekriegt

Es gilt doch, über bloße Inhaltsangaben hinaus zu kommen, aber diesmal komme ich in den Inhalt noch nicht einmal hinein. Es geht um Hitler, behaupte ich mal. Es dürfte so ungefähr 2004 sein und Hitler ist wieder da, in einem Haus/Hof oder so, bei einer Oma und ihrer Tochter Luise, die ihre anhaltende Bewunderung für den Herrn bekunden, der sich indessen ungeniert in die Hosen kackt oder so, er ist eine Art Baby, eine Puppe, kann aber doch reden, und was er sagt ist, nunja, seltsam, weder so recht hitler- noch babyhaft, aber doch ein wenig von beidem.

Der Spielraum, den der Text da bietet, ist groß, Hitlers Sprache jedenfalls ist durchaus erwachsen, auch selbstreflektiert, ehrlich und weder albern noch hasserfüllt. Er berichtet von seinem jüdischen Schneider, relativiert seinen Judenhass mit einer Art Querfront-Idee gegen die Araber, will mit Luise nach Israel auswandern, sucht die Toilette... Eigentlich geht es doch weniger um ihn, sondern um die Liebe, die Oma und Tochter ihm entgegen bringen, welche sich als unbedingt und verblendet erweist. Luise, anscheinend routinierte Holocaustleugnerin, ist geradezu schockiert davon, wie Hitler seine Ermordung von 6 Millionen Menschen erwähnt, „gesteht“, sagt sie, als hätte sie es selbst nicht geglaubt, ein köstlicher Moment.

Ungefähr in der Mitte des Textes betreten Annamirl und Joseph Bierbichler die Bühne und bringen einen postdramatischen Wendepunkt mit Realitätseffekten und absurder Zuspitzung mit. Selbstreferenzielle Bezüge zur Arbeit der Geschwister mit dem Autor, den wir als das abwesende Kind Luises erkennen, stellen einige Rechercheaufgaben an Menschen, die mit Achternbusch weniger vertraut sind. Auch dessen im Kindesalter verstorbener Onkel, dem das Stück gewidmet ist und der ebenfalls den Vornamen Herbert trägt, sorgt für leichte Verwirrung.

Affären werden angedeutet, ein Kind steht vor der Tür, alles wahrscheinlich total echt, aber kaum zugänglich, und daneben steht der unechte Hitler, der erst mit einer Pistole hantiert und dann die Atombombe hinterm Ofen hervorholt und in Gang setzt, Selbstmordabsichten Luises, die, von Hitler enttäuscht, sieht, dass es zu Ende geht, und der Vorhang fällt unter unheimlichem Krach. Die beiden Bierbichlers aber überleben, fertig, Annamirl kann nicht laufen, das Stück entstand etwa ein, zwei Jahre vor dem Tod der echten Annamirl, und sie wollen nur nach Hause, nach Ambach.

Die abschließende Beurteilung fällt schwer, denn einerseits freue ich mich nun, dem Stück noch so viel Sinn abgerungen zu haben, andererseits erscheint mir das geforderte Recherchepensum angesichts der fast ausschließlich das persönliche Umfeld des Autors betreffenden Erkenntnisse doch etwas zu hoch. Für mich ist es durchaus besser, etwas über Achternbusch zu lernen, als das nicht zu tun, aber ich würde das meinen Freund:innen nicht unbedingt empfehlen und diese vernebelte Verschachtelung der Familiengeschichte auch nicht zum Ideal meiner eigenen Arbeit küren. Ein Generationenproblem, nehme ich an.

Foto von Dave Lowe auf Unsplash

Auch interessant

Nur kein transzendentales Geschwätz, wenn alles so klar ist wie ein Watschen
Ludwig Wittgenstein