Rezension zu Heinrich von Kleist: Penthesilea
Kriegsgelüste
Es herrscht Krieg in Troja, und mitten hinein platzt eine Weiberschar, die sich ein paar Erzeuger fangen und sich Untertan machen will. Das ist so Sitte beim Volk der Amazonen, welches sich nach den für das Patriarchat typischen schlechten Erfahrungen zu einem konsequenten Gegenentwurf entschlossen hat. Liebe zwischen Mann und Frau kann es nicht geben, steht auf den Pfeilern ihrer lesboerotischen Gesellschaftsordnung geschrieben, und bislang scheinen die Frauen ganz gut damit zu fahren.
Arestochter Penthesilea, die Königin, verfügt über halbgöttische Superkräfte, die Solidarität ist groß und alle paar Jahre, so auch jetzt wieder, werden halt mal ein paar Männer eingefangen, abgemolken und wieder weggeschickt. „Rosenfest“ nennt sich das, gesponsort von Diana/Artemis, Göttin der Jagd undsoweiter. Sportlich geht es zu auf dem Schlechtfeld [sic], wo die Amazonen unparteiisch hineinpreschen, was die auf die Helenarettung fixierten Größten aller Griechen (von Herakles mal abgesehen) mehr verwundert als ängstigt. Odysseus und Antilochus beratschlagen noch die Situation, als Kunde von Achilleus Gefangennahme eintrifft.
In der Ferne prallen die Heere aufeinander, ein wildes Hin und Her, widersprüchliche Berichte, langsame Entfaltung der Motive, dann aber kristallisiert sich heraus: Achilleus und Penthesilea stehen aufeinander. Durch Beobachtung der herausragenden Leistungen des jeweiligen Gegenübers tief beeindruckt, fixieren die beiden sich aufeinander wie in einer Lovestory. Das erste Date verbringen sie mit einem Wagenrennen, Achilleus auf der Flucht, verfolgt von der furienhaft aufblühenden Amazone; mit einem geschickten (oder brutalen?) Maneuver bringt der Pelide die Königin zu Fall und zerschmettert ihr die Brust (die Amazonen haben anscheinend eh nur eine davon, damit sie besser bogenschießen können).
Als die Ohnmächtiggewordene in den Armen ihrer Liebsten Prothoe wieder zu sich kommt, steht Achilleus schon, deren spontanem Verkupplungsplan folgend, hinter dem Baum. Um die Gepflogenheiten der Amazonen und die Ehre der Königin zu wahren, stellt Prothoe das Zweikampfergebnis spiegelverkehrt dar. Achilleus lässt sich verliebt, aber siegesgewiss auf das Spiel ein, aber nicht nur Penthesileas Körper, auch ihr Geist hat einiges abgekriegt, scheint es. Ihr Gefolge hätte ja längst nach Hause gewollt, das griechische Heer war den Amazonen allzu überlegen, um es in längeren Auseinandersetzungen mit ihm aufzunehmen, aber die Königin musste ja unbedingt dem erzgerüsteten Hektorkiller hinterherjagen. Und obwohl der jetzt vor ihr kniet und sie auf der Stelle flachlegen will, glaubt sie, vorher noch den ganzen Krieg gewinnen und den Weg nach Hause zurücklegen zu müssen. Achilleus rutscht daraufhin die Wahrheit ihrer Niederlage raus, was sie noch weiter in den sogenannten Wahrnsinn [sic] treibt.
Zum dritten Date, in dem Penthesilea ihre Ehre retten und ihren Mann traditionsgemäß erobern will, erscheint sie mit Höllenhunden und Elefanten und zerfleischt den schlecht vorbereiteten Helden in bester Kannibalinnenmanier, was selbst die Amazonen ins Entsetzen stürzt. Völlig echauffiert distanzieren sie sich von der blutrünstigen Performance ihrer Königin, vielleicht weil das dann doch etwas zu unweiblich wirkt. Im Streit kommt Penthesilea ein bisschen zur Besinnung, ganz so arg hätte man, hätte sie ihren Geliebten wohl doch nicht zurichten sollen, der Pfeil durch den Hals hätte doch gereicht. Da in diesem Zustand kein Staat mehr mit ihr zu machen ist, wünscht sie ihren Begleiterinnen einen schönen Heimweg und schenkt ihre Brust dem Dolch, um den Peliden vielleicht im Jenseits noch zu erhaschen.
Mit slapstickhaften Sprachausfällen und einer durch Kuriositäten angetriebenen Dramaturgie gewinnt das Stück eine Interpretationsvielfalt und Zeitlosigkeit, die ihresgleichen sucht. Die gesellschaftliche Ächtung, die sofort zur Wahnsinns-Keule greift, während alles noch in affektiven Bahnen verläuft, ist gut eingefangen, einzig in Bezug auf die natürliche Anziehungskraft der heroischen Heterosexualität und die darauf fußende Verzweiflung des Matriarchats würde ich noch sorgenvolle Einwände erheben. Die Adaption in Jelineks Sportstück leuchtet ein, bei Kleist mangelt es keineswegs an starken Frauenfiguren, aber vielleicht, wenn ich so darüber nachdenke, doch ein bisschen an intelligenten. Verse sind sehr schön, so richtig aneignen konnte ich mir das Schema aber leider noch nicht. Zur Not einfach Copy Paste, mit diesem Stoff lässt sich jedenfalls noch viel anfangen.
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Bild von The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), Quelle: Wikimedia Commons