Rezension zu Harold Pinter: Die Teegesellschaft

Dissoziatives Wechselspiel. #metoo 1965

In 25 scharf geschnittenen Szenen entfaltet sich ein Kaleidoskop des Unsagbaren. Es beginnt mit einem Einstellungsgespräch. Disson, der Chef des Hauses, sucht eine persönliche Assistentin und lässt sich von der wortkargen, die Beine übereinanderschlagenden Wendy, die ihre alte Stelle aufgrund wiederholter Vorfälle von sexueller Belästigung aufgeben musste, überzeugen. Er stellt sie ein und betraut sie gleich mit Erledigungen für seine Hochzeit am nächsten Tag.

Disson wird Diana heiraten, und Willy, deren Bruder, hält gleich für beide Seiten des Paares die Ansprachen, weil der geplante Trauzeuge Disley kurzfristig absagen musste. Dezente Untertöne schwingen sich durch die kompakten Szenen, während Disson erst Willy für seine Firma anwirbt und dieser seine Schwester als Sekretärin. Ein munteres Familienunternehmen entwickelt sich, bei dem individuelle Motive und Absichten in der Viererkonstellation in nebeneinanderliegenden Büros höchst nebulös erscheinen.

Natürlich nähert sich der Chef der neuen Assistentin auf genau die Art und Weise an, welche sie ihren alten Job kündigen ließ, wobei ihr in der jüngsten Iteration durchaus keine Widerworte einfallen. Wendy scheint im Gegenteil auch mit dem Schwager sogleich ein Techtelmechtel anzufangen, während Disson bald mit mysteriösen Ausfallerscheinungen zu kämpfen hat. Es verschlägt ihm minutenweise die Sicht, sein ausgefallener Trauzeuge, Freund und Augenarzt Disley kann jedoch keine physische Ursache feststellen.

Disson wirkt etwas ausgebrannt, paranoid, eifersüchtig, auf einer unbewussten Ebene deutet sich eine inzestuöse Vermutung einer mehr als geschwisterlichen Liebe zwischen Diana und Willy an, dann ist da auch noch das unsichere Spannungsfeld mit den Kindern aus erster Ehe Dissons, seine Eltern, er scheint sich zwischen all den unausgesprochenen Konflikten ganz schön aufzureiben.

Alles kulminiert dann auf der titelgebenden Teegesellschaft, die Disson mit verbundenen Augen bestreitet und die sich (oder ihn) zunehmend dissoziiert. Gesprächsstellen verschwinden im Hintergrundrauschen, die Anwesenden verhalten sich verschwörerisch, bis Willy sowohl Diana als auch Wendy vor Dissons verbundenen Augen auf dem Schreibtisch „streichelt“, woraufhin Disson samt Stuhl umfällt und nicht mehr ansprechbar ist.

Man merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht, am Ende sind Disson und Diana bereits über ein Jahr verheiratet, und die Konfliktlinien der Ehe verlaufen zumeist matt schimmernd unter der Oberfläche der Konversation. Da ist ein Familienurlaub in Spanien, auf den Disson dann wahrscheinlich nicht mitkommt, Willy aber schon, da sind viele Doppeldeutigkeiten und Andeutungen, die im Text nie so ganz greifbar werden, aber doch ihre psychischen Auswirkungen auf Disson ganz materiell deutlich machen.

Es beeindruckt sehr, wie unscheinbar sich mit Willy und Wendy die beiden Nebenrollen in handlungstreibende Akteure hineinspielen, deren wahre Interessen jedoch bis zum Schluss irgendwie rätselhaft bleiben. Willy ist ja kein notgeiler, übergriffiger und inzestuöser Frauenheld, sondern durchgehend besorgt und hilfsbereit, auch Wendy ist keine platte Nymphomanin, sondern eine wertvolle Sekretärin mit ausgewogenen Fähigkeiten.

Glänzend schafft Pinter hier eine Vorlage, in der sich die Phantasie der Leserin geradezu verlieren kann. Eine genussvolle Mehrdeutigkeit, von der ich auch mal etwas ausprobieren könnte.

Foto von Caroline Hernandez auf Unsplash