Rezension zu Gesine Schmidt: Oops, wrong planet
Dann doch nur Freakshow
Am Anfang gibt es Hoffnung. Vier Betroffene aus dem Asperger/Autismus-Spektrum und eine Mutter berichten aus ihrem Alltag, von ihren Interessen, Jobs und ihrem Verhältnis zur Welt und zu anderen Menschen.
Einer der philosophiestudierenden Zwillinge berichtet von Kants Katze, die Alliteration und auch die Geschichte dazu ziehen meine Mundwinkel nach oben, alle dann ein bisschen nerdig, aber grundsympathisch. Die berichteten Peinlichkeiten bei Missverständnissen im Alltag, weil Regeln oder Sprichwörter falsch interpretiert werden, bieten weitläufig Anschluss für Probleme, die wir alle kennen: Einsamkeit, Introversion, Nervosität. Als ich mich fast selbst schon als Autist diagnostiziere, verlieren die Figuren aber leider irgendwie den Faden.
Ein Schüler hält sein seitenlanges Referat über Vulkane, die Mutter denkt doch kurz, dass ohne Kind vielleicht alles einfacher gewesen wäre und die Ärztin für Psychotherapie wirkt schon auch komisch, weil sie immer noch bei ihren Eltern wohnt. Mit der Zeit bricht eben doch die langweilige Wirklichkeit in das anfangs explorative Stück, geradezu ausgestellt wirken die Sätze, in denen sich Unwissenheiten und Verständnisprobleme der Betroffenen manifestieren. Wenn der Vulkanjunge glaubt, aus seiner Freundin, der es schon zu viel ist, ihn alle drei Wochen mal zu sehen, könne ja noch eine feste Freundin werden, oder der eine Zwilling fühlt sich im Park nicht einsam, weil ihm ja auch eine Frau begegnen könnte, die ihn mit nach Hause nimmt.
Ja, bei dem, was sie nicht kennen, gerade in Fragen von Sex und Liebe, machen sich die Betroffenen oft ein simplifiziertes, komisches Bild, weil ihnen Ausdruck und Einschätzung von Gefühlen und deren Entwicklung und Konsequenzen schwer fallen. Aber sie haben doch recht, und das ist, was diese Pseudoobjektivität der Dokumentation verkennt. Sie stehen halt dumm da, wahrscheinlich so ähnlich wie die Autorin, wenn man sie mal nach der Funktionsweise eines Ottomotors oder eines Halbleiters fragt.
Sprachlich ist dieses Stück angenehm, die einzelnen Figuren stark kontrastiert, na gut, eine „eigene“ Sprache der Autorin kann ich nicht entdecken, aber wann sagt man sowas schonmal? Der Mangel an Handlung geht mir hingegen auf die Nerven, es sind eben alles bloß Berichte, die sich irgendwo in der Wüste verlaufen, um, auch hier, Mitleid, Sensibilität oder ich weiß nicht was zu wecken. Am meisten aufgeregt hat mich die Verwendung einer Schriftart mit einer römischen I im Dezimal-Rechenbeispiel. Vielleicht lasse ich mich nochmal testen.
Darüber arbeiten? Na gut. „An den Rändern des Wissens. Kants Katze oder warum Autisten manchmal die besseren Ideen haben“ oder „Regeln und Gefühle. Was Gesine Schmidt von ihren Figuren lernen kann“.
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Foto von Milada Vigerova auf Unsplash