Rezension zu Gesine Schmidt: liebesrap

Dumme Kinder hinter Glas

Yussuf, 15, und Vanessa, 16, leben in Neukölln und sind verliebt, oder so ähnlich. Sie erfüllen jedes Klischee, das man sich aufgrund ihrer Namen, ihres Alters und des Stadtteils nur ausdenken kann. Beide Unterschicht, er Moslem, sie Christin, beide dumm wie Brot und hingestellt wie unter einer Käseglocke ins ethnologische Museum.

Sie lernen sich irgendwie in der Schule kennen, obwohl sie eigentlich fast nie hingehen, erzählen pubertäres Zeug von Liebe, streiten sich, er schlägt sie, und dann kann das Gaffen losgehen. Schwangerschaft, Kriminalität, Alkohol, Zigaretten und Drogen. Stress mit Eltern und Familie, Schule, Polizei und falschen Freunden gehört natürlich auch dazu. Das Ganze berichten die beiden dumm, fröhlich, unaufgeregt stolz in die Kamera bzw. das Mikrofon oder wie man sowas auch macht. Keine Ahnung, wie der Text zustande kam, er wirkt ziemlich echt, vermeintliche Interviewfragen oder Gesprächsanreize lasen sich zwischen den Zeilen ablesen.

An dieser Echtheit liegt es wahrscheinlich auch, dass dem Stück jede Dramaturgie fehlt, in zweiunddreißig Kurzpassagen, von denen drei thematisch mit „Glaube“ und zwei mit „Gesetze“ übertitelt, die anderen bloß nummeriert sind, geht es munter auf und ab, die beliebige und isolierte Stellung der Einzelereignisse, etwa Abtreibung oder ein blaues Auge, spricht am ehesten für die Erklärung, dass es ja wirklich in dieser zeitlichen Abfolge geschah und wirklich mit dieser pubertären Ignoranz (Unwissenheit) geäußert wurde.

Jedenfalls, am Ende wundert sich das 16-jährige Mädchen, nachdem es alle möglichen Drogen geballert und sich von seinem Freund hat schwängern und schlagen lassen, dass sie zittert, obwohl ihr nicht kalt ist. Hätte sie doch doch nur in der Schule besser aufgepasst.

Mir tun diese Kinder auf jeden Fall weniger für ihre vielen Schicksalsschläge und Dummheiten leid als dafür, dass ihre Geschichte, ja ihr Text, jetzt auch noch von einer Autorin zu einem Stück verwurstet wird, bei dessen Genuss sich ein paar bürgerliche Spießer Sorge, Mitleid und ihre individuelle Klage über den Zustand der Jugend oder des Bildungssystems auf die Fahne schreiben. Weitere Texte zu diesem Stück sind vollkommen überflüssig.

Foto von Hannah Tasker auf Unsplash