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Rezension zu Friederike Mayröcker: da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete

Undsoweitermeisterschaft

Tagebuchartig mit variierenden Einzügen und Abständen tritt mir dieser Text entgegen und schlägt in unvollständigen Sätzen durch die Zeiten springend ein wahnsinnig langes und facettenreiches Dichterinnenleben/ Dichterinneninnenleben auf.

Die als Proeme, als prosaische Gedichte, selbstbezeichnete Textgattung zeichnet sich durch ihre experimentelle Kombinatorik und freie Assoziation aus, immer neue Fäden werden gesponnen und fallen gelassen, um an einer ganz unerwarteten Stelle wieder aufgenommen zu werden, oft ist es das Ungesagte und Unbestimmte, welches dunkle Ahnung von Verständnis produziert.

Das biographische Halbwissen etwa um das über und über mit Zetteln zugewirtschaftete Arbeitszimmer der Autorin mahnt ständig zur Aufmerksamkeit gegenüber den beiläufig und lieblich angedeuteten Papierfetzen und Essensresten auf dem Boden, Thema Rausch, Schatten, Stimmen gemahnt an persönliche psychotische Erfahrungen.

Da steht etwas von Arztbesuchen, körperlichen und geistigen Gebrechen, eine nicht näher ausgeführte Augenverletzung durchzieht doch den Text und wird schließlich sogar im Titel offenbar, aber all diesen Ballast nimmt der Text in seiner lockeren Anekdotenhaftigkeit mit, ja, lässt sie unter romantischen Gefühlen für Jacques Derrida und Ernst Jandl untergehen, hinter die Geselligkeit der Autorin zurücktreten, welche man der zum Zeitpunkt der Erzählung 92Jährigen kaum zugetraut hätte.

Diese Frau hat das Alter meiner Oma, auch davon entdecke ich Anteile in diesem Sound und der Herangehensweise an die Welt, Wildblumen, Kindheitserinnerungen aus den 30er Jahren, aber dann steht da plötzlich wieder high sein und Instagram. Die intellektuelle Vernetzungsarbeit Mayröckers beeindruckt, wenn nicht bloß die Autor*innen der Wiener Gruppe und die großen Köpfe der Stadt, sondern auch Samuel Beckett und internationale Künstler*innen Parade stehen, und selten habe ich eine Sprache derartig bescheiden und artifiziell zugleich aufleuchten sehen.

Das häufig verwendete „usw.“ deutet im freien Spiel der Kräfte stets auf das ganz Andere, statt bloß eine feststehende Liste abzukürzen: Es öffnet Möglichkeitsräume, die keineswegs selbstverständlich sind. Vielmehr: große Kunst.

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