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Rezension zu Elfriede Jelinek: Rein Gold

Richard Wagner auf Naziterror

Durch ein W und ein B lassen sich die Textflächen zwei Perspektiven zuordnen, namentlich Wotan und Brünnhilde, Vater und Tochter, deren Wagnerische Vorbilder ein Grundgerüst für die von Bruchstellen und Kalauern getragene Entwicklung, naja, oder zumindest den Fortgang des Stückes stellen.

Wir erinnern uns des Rings der Nibelungen, ungefähr: Wotan lässt sich Schloss Walhall von den Riesen bauen, verweigert ihnen aber Freia, seine Tochter, als versprochenen Lohn und handelt als Ersatz den Schatz der Nibelungen, der bei Alberich liegt, aus. Brünnhilde soll Siegmund im Kampf gegen Hunding unterstützen, aber Fricka verbietet das, weil Hunding und Sieglinde schließlich ordentlich verheiratet waren und Siegmund damit einen Ehebruch beging.

Brünnhilde steht ihm trotzdem bei und wird dafür mit einem Schlaf, umgeben von Flammen, bestraft, aus dem der erstbeste Held, der vorbeikommt, sie erwecken soll. Dieses unsolidarische Wechselspiel von Auftrag und Bestrafung belastet das Vater-Tochter-Verhältnis, Wotan kriegt ein schlechtes Gewissen, lässt alle im Stich und geht wandern.

Der Schatz indessen löst bei jedem neuen Besitzer Zwietracht aus, und zunächst schlägt Jelinek hier in die Kerbe und verknüpft die Textfäden mit dem Kapital und den Wanderer mit dem umgehenden Gespenst in Europa, Bankenkrise und Steueraffären scheinen unter der Wagnerischen Tarnkappe auf, die Figuren und ihre Bedeutung werden immer wieder neu und widersprüchlich mit Querbezügen aufgeladen und dadurch eine bedrohliche Unsicherheit geschaffen, in der alles alles heißen kann, meistens jedoch vor allem das Schlimmste, Hitlerdeutschland, Judenmord und natürlich kommt auch dessen gegenwärtige Aktualisierung in den Anschlägen des Nationalsozialistischen Untergrunds nicht zu kurz.

Akribisch wird das Propagandamaterial des NSU, welches gespickt ist mit Zitaten aus dem Rosaroten Panther, zerlegt, werden die Prozessaussagen Beate Zschäpes neu kontextualisiert, von Jesus bis Bakunin treten überall neue Helden auf und werden durch die Parallelführung mit zynischem Nazisprech und den selbstsüchtigen Charakteren des Rings gemein gemacht.

Wiederholt betritt aber auch Jelinek selbst die Textflächen, referenziert ihren Schatz, bestehend aus Vermögen und Literaturnobelpreis, kritisch, knüpft auch hier an den Fluch an, den der Ring mit sich bringt, thematisiert ihre eigene Getriebenheit zum Schreiben und das permanente Ringen um seinen Wert.

In den zahlreichen Sprüngen quer durch die Geschichte und eine Fülle heterogener Quellen ist nicht leicht Fuß zu fassen, man müsste einzelne Themenkomplexe herausgreifen und sie en detail betrachten, wie sie sich durch das Buch ziehen, aber genau diese Schwierigkeit, den Text auf Linie zu kriegen, ihn in wenigen Sätzen darzustellen, macht seine überragende Qualität aus.

Foto von Ross Sokolovski auf Unsplash.

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