Rezension zu Elfriede Jelinek: Die Ausgesperrten
Verführung zur Sinnlosigkeit
In diesem schönen Jugendroman raufen sich vier Halbstarke zusammen, um ein wenig die Welt zu erkunden und das Leben (aus) zu kosten. Die Zwillinge Reiner und Anna (Vater invalider SS-Oberer, Mutter Lehrerin, also: gutbürgerlich) besuchen gemeinsam mit der eher aristokratischen Sophie das Gymnasium, durch die geteilte Liebe zum Jazz stößt außerdem der Starkstromelektriker Hans mit seinem Bildungshunger dazu.
Gemeinsam planen und vollziehen sie ein paar hübsche Straftaten, loten die Einseitigkeit der Liebes- und Klassenverhältnisse aus und finden immer wieder bei Camus Halt und Verzweiflung. Sie ertränken eine Katze (oder versuchen es), rauben ein, zwei Pädophile aus und Sophie zündet im Alleingang in der Umkleidekabine eine Wurfbombe. Das wirkliche Finale aber bestreitet Reiner, ebenfalls im Alleingang, mit der brutalen Ermordung und Zerstückelung seiner Schwester, Mutter und des Vaters.
Die Familienverhältnisse waren nicht rosig: ein verkrüppelter, gewalttätiger Vater, der der mit dem Krieg verlorenen Stellung hinterhertrauert und sich in fetischhafter Aktfotografie (oder auch Vergewaltigung) der Mutter ergeht, krankhafte Eifersucht, eine bulimische und nur selten zur Sprache findende Schwester konstituieren ein hochgradig dysfunktionales Setting.
Warum ausgerechnet Reiner als Intellektueller und prahlerischer Anführertyp, der zunächst doch von einem Doktorat undsoweiter träumt, schließlich in diesen Blutrausch verfällt, gibt mir Rätsel auf: Die rationale Herleitung einer schöpferischen Kraft (eines guten Gefühls) der Zwecklosigkeit, wie sie schon als existenzialistische Grundlage der vorherigen Taten herhalten musste, gelangt hier jedenfalls an ihre Grenzen. Aber er hat natürlich die Frau (Sophie) nicht gekriegt, konnte mit dem philosophischen Gerede nicht viel erreichen und hatte es auch sonst nicht leicht.
Das Buch jedenfalls besitzt eine große Lustigkeit darin, wie es immerzu pubertäre mit intellektuellen, körperliche mit geistigen Problemen vermengt und dabei zahlreiche Kippfiguren vorführt. Die dramaturgische Ausarbeitung indessen bietet einen schmeichelhaften Lesefluss, in dem sich nichts wiederholt und vieles einprägt.
Mehr sollte man über Hans sagen, der sich als Arbeiterkind vom Kommunismus (vom Plakatekleben) abwendet, mit seinem Bildungsbegriff aber doch eklatant hinterherhinkt und dadurch irgendwie von Klassismus betroffen wirkt, wenn er über seine schlechten Kalauer in tierisches Lachen zu verfallen genötigt wird. Man hört es richtig, wie dumm er ist, nirgends wird er es hinbringen und im ganzen Roman kriegt er trotz seiner Körperkraft und Wissbegierde keinerlei autonome Handlung zustande. Aber so sind sie nun mal, die Jelinekfiguren, Reiner wenigstens schlägt mit der Axt drein und ich liebe das Gesamtkonzept.
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Foto von Mitchel Lensink auf Unsplash