Image undefined

Rezension zu Einar Schleef: Tagebuch 1999-2001

Arbeiten, aufregen, anrennen

Der vierte und letzte Band der Tagebücher von Einar Schleef entspricht vom Umfang her den stattlichen über 400 Seiten im großen Format der Vorgängerbände, umfasst dafür aber den vergleichsweise knappen Zeitraum von bloß wenig mehr als zweieinhalb Jahren. Schleef wird am Ende des Buches sterben, so viel wusste man auch vorher, aber das ist keineswegs das bestimmende Thema.

Wir verfolgen einen Künstler auf dem Höhepunkt seiner Karriere, kurz nach seiner legendären Inszenierung von Elfriede Jelineks Sportstück am Burgtheater, dabei, eine Professur an der Berliner Hochschule der Künste anzutreten, der aber doch nach wie vor mit seiner Außenseiterstellung ringt, in die sein Sprachfehler, sein Eigenwille und seine Flucht aus der DDR ihn gerückt haben. Dem Who-is-who der zeitgenössischen Theater- und Kulturlandschaft tritt eine elementare Einsamkeit entgegen, die sich an allen Ecken und Enden verraten und verkauft wähnt, zu spüren ist die nervenaufreibende Wirkung von Gerichtsprozessen um Vergütungen und Kündigungen, aber auch ein unermüdlicher, immer wieder durchschlagender Arbeitswille, der schonungslos mit seinem Umfeld ins Gericht geht.

Jetsetmäßig pendelt Schleef zwischen Wien und Berlin, stürzt sich in die immer wieder als Elend empfundene Aneinanderreihung von Premieren, teuren Abendessen und ergebnislosen Sitzungen, dann wieder ins Wasser der Donau oder des Schlachtensees, das Schwimmen in öffentlichen Gewässern, das Fahrradfahren bilden Erdungspunkte, obwohl es beim Zuschauen/Zulesen fast Angst macht, wie sich dieser Über-Fünfzigjährige da im Oktober die Klamotten vom Leib reißt und in aller Ruhe ins Wasser steigt.

Nur als Schatten hingegen ziehen sich Alkohol, Zigaretten, Burnout und Krankheit durch dieses Buch, die Zeiten laufen in der Erinnerung ineinander, ärztliche Diagnosen und Ratschläge werden kaum wiedergegeben, der Kuraufenthalt in Graal-Müritz triggert DDR-Erfahrungen und wird als Verschlechterung des Gesamtzustands wahrgenommen. Schleef klammert sich an seine Arbeit, erstellt Namens- und Ortsregister zu Gertrud, kämpft gegen seinen Computer und für die Veröffentlichung seiner Tagebücher, steht auf der Bühne, lernt Text, hält Vorträge, telefoniert, schreibt – am Ende ist man sich nicht sicher, ob die Arbeit ihn am Leben gehalten oder in den Tod geschickt hat.

Beeindruckt und doch mitleidig sehen wir zu, wie ihm der mit 30000 DM dotierte Else-Lasker-Schüler-Preis zuerkannt wird und er versucht, den Anstrich seiner Küche mit gebunkerter Farbe aus dem Keller in die eigene Hand zu nehmen. Der Kontakt zu allen Menschen aber scheint von einer misstrauisch-enttäuschten Feindseligkeit überschattet, am nächsten noch scheint ihm aller professionellen Distanz zum Trotz Elfriede Jelinek zu kommen, deren kurze persönliche Widmungen an den Kranken tatsächlich wie ein Geschenk aufleuchten. Was bleibt da schon zu wünschen übrig? Am Ende hat es sogar die Veröffentlichung der Tagebücher im Suhrkampverlag geklappt.

Auch interessant

Nur kein transzendentales Geschwätz, wenn alles so klar ist wie ein Watschen
Ludwig Wittgenstein