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Rezension zu Dieter Thomä: Ästhetische Freiheit zwischen Kreativität und Ekstase

Der Mensch ist das Kotzen

Mit romantisch-humanistisch funkelnden Augen hebt Thomä an, die Ästhetik von der Ökonomie zu trennen, d. h. die beiden in einem neueren Diskurs anscheinend zusammengefügten Begriffe wieder voneinander zu entzerren. Die Sollbruchstellen seiner Argumentation voller Ganzheitlichkeit des menschlichen Werdens jedoch kittet er dabei nur allzu oberflächlich.

Der Diskurs, so wird ausgeführt, identifiziere die künstlerische Produktion mit der kapitalistischen, aber aisthesis bedeutet Wahrnehmung, die Natur des Menschen besteht aus Kunst und Bildung und das widerständige Potenzial der ästhetischen Freiheit befindet sich auf deren Seiten der Rezeption, der Ekstase, des Rauschs und der Glücksgefühle, die anscheinend, angeblich, nicht ökonomisierbar wären.

Herder und Schiller und co. haben diese Seite nämlich alle vergessen, Joyce, Proust, Woolf, Musil und Baudelaire aber haben sie entdeckt, die Epiphanie, das Dasein und die Drogen, nein, die völlige Zwecklosigkeit, Entschuldigung, ich meine, dass man sich eben einfach mal zurücklehnt und die Lebenssorgen über Bord wirft und dem Denken wie Schöpfen Einhalt gebietet.

Zwei Seiten einer Medaille, Tierliebe und Menschenhass, nein, Produktion und Rezeption, Kreation und Ekstase. Aber die entscheidende Frage ist doch, wie und warum wir davon ausgehen sollten, Ökonomie habe nichts mit Gefühlen zu tun. Auch in den Wirtschaftswissenschaften gibt es doch Produktion und Konsumption, okay, das ist noch zu einfach, aber es gibt auch Depression und Inflation, Aktienrausch und passives Einkommen, FOMO und HODL, ich kann da einfach keine Trennlinie ziehen und die tatsächlich drogenverblendete und blasengeschwängerte Vorstellung einer humanistischen Ganzheit, zu der wir uns alle erheben wollen, kann der Autor getrost für sich behalten.

Ich liege hier alleine, desinteressiert und hoffnungslos und konsumfeindlich, und ich lasse mir nicht vorschreiben, wie high ich zu sein habe, um Kunst zu machen.

Veröffentlicht in Christoph Menke, Juliane Rebentisch (Hrsg.): Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus

Foto von Daniel McCarthy @themccarthy auf Unsplash

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