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Rezension zu Bernd Seidensticker: Mythos Sisyphos

Auf einem guten Weg den Berg hinan

Der Band versammelt Texte und Fragmente, die mit der Person, der Figur, dem Mythos oder manchmal auch nur dem Thema Sisyphos zu tun haben. Das ist zunächst einmal ausgesprochen hilfreich, wenn man sich für den Mythos interessiert, der fast ausschließlich in kleinen Fragmenten überliefert ist, eher ein Bild als eine zusammenhängende Geschichte.

Viel gibt es zu lernen über Sisyphos, den Sohn des Aiolos, Vater des Odysseus, König von Korinth, den schlauesten unter den Menschen, den Skrupellosen und Glücklichen. Er überführte Autolykos des Rinderdiebstahls mit Hilfe eines Hufstempels, vergewaltigte dessen Tochter und auch die Tochter seines eigenen Bruders, er verpetzte Zeus als Tochterverführer an Asopos, den Flussgott, um Wasser für Korinth zu kriegen, fesselte den auf ihn gehetzten Tod (Thanatos), bis Ares und Merkur eingriffen, und wurde von Hades/Pluto aus der Unterwelt entlassen, um sich bei seiner Frau über den Mangel an Grabbeigaben zu beklagen, führte mit dieser aber stattdessen noch ein schönes Leben. Erst danach, im hohen Alter eines natürlichen Todes gestorben, hört man, kam das mit dem Stein im Tartaros, der personifizierten untersten Unterwelt.

Die kulturelle Tragweite wird im Band dann in drei Zeitabschnitten gegliedert durch die Jahrhunderte verfolgt, als leidender Büßer im Mittelalter, frustrierter Arbeiter in der Neuzeit und schließlich vielleicht glücklicher Mensch nach Camus kämpft sich Sisyphos durch die Geschichte. Die zahlreichen Perspektiven geben einen tollen Überblick, nur zur Vollständigkeit wird wenig gesagt. Aus den wenigen größeren Werken werden nur kleine Ausschnitte präsentiert, wenn ich das recht verstehe, von Travelyan oder Konopnicka schienen zumindest längere Texte mit der Figur vorzuliegen.

Auch im Nachwort tauchen noch einige Texte auf, von denen man sich wundert, warum sie es nicht ins Buch geschafft haben, aber allzu groß ist wohl der Schaden nicht. Ich hätte gerne mehr direkte Rede aus Sisyphos‘ Mund gehört, die seine List und seine Wendigkeit belegt, sein Verbrechen und sein Leiden, aber ich ahne doch, dass es dazu gar nicht so viel gibt.

Ich habe es schon einmal gesagt, aber erstaunlich an Sisyphos ist doch sein Schicksal als Nebenfigur und bloßes Bild. Die ganze Welt kennt seinen Namen, aber niemand hört ihm zu. Auch ich habe mich an einigen Stellen des Buches mehr für seine Leidensgenoss*innen aus dem Tartaros und die griechische Götterwelt interessiert als für den Helden selbst, aber auch dieses Schicksal wird er tragen.

Foto von Andre Bernhardt auf Unsplash.

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