Rezension zu Albert Camus: Der Mythos von Sisyphos

Nun sei doch endlich glücklich

Mindestens zum zweiten Mal bin ich auf den Titel dieses Buches reingefallen. Über Sisyphos wollte ich etwas wissen, einfach so, wie es ihm geht, mit seinem Stein, ob das nun Arbeit oder Strafe ist, wie seine Frau hieß, ob er Kinder hat und was die Götter von ihm denken. Und zum mindestens zweiten Mal stell ich fest, dass es keinen kanonischen Ursprungstext gibt. Das ist doch ein Skandal. Keine Tragödie, kein Epos, keine Metamorphose mit Sisyphos im Mittelpunkt, ein einziger, winziger, pseudoplatonischer Dialog, der vollkommen am Thema vorbeigeht, und sonst nur versweise Stückwerk.

Na dann eben Camus, denkt man, da taucht doch alles wieder auf, der Titel stimmt genau, nur leider stellt man fest: Der Untertitel bestimmt das Thema, Sisyphos ist wieder mal, auch hier, nur eine anekdotenhafte Nebenfigur, ein Beispiel, namentlich behandelt auf genau dreieinhalb von einhundertundeins Seiten. Aber diesmal habe ich das Interesse an der Figur zurückgestellt und das Buch trotzdem gelesen. Es geht um das Absurde. 1942 geschrieben, fragt Camus: Die Welt ist sinnlos, warum bringen wir uns nicht um? Da werden große Philosophen aufgeboten, Jaspers, Husserl, Heidegger, Kierkegaard, um die Sinnlosigkeit in den Stein des Lebens zu meißeln, natürlich ist Gott tot und auch wir werden alle sterben.

Vom Klima des Absurden spricht Camus, überhaupt redet er gern von Klima, er meint wohl komplizierte Verhältnisse, und auch die Mathematik und die Logik werden in strategische Stellungen gerückt, ohne mit diesen Kanonen doch so recht zu schießen. Vielleicht verzerrt die Übersetzung das Vokabular und damit die Verhältnisse von Ursachen und Wirkungen, Prämissen und Konklusionen, vielleicht war ich auch zu unaufmerksam, schnell und kontextlos, um die Sch(l)üsse nachzuvollziehen. Aber es gibt Erscheinungsformen des Absurden. Don Juan und die Komödie als Gegenspieler*innen der Kirche, die das Glück aus dem Jenseits auf die Erde holten. Der Eroberer, der kämpft, obwohl es nichts zu gewinnen gibt.

Die Figuren, das Thema bleiben jedoch rätselhaft, kryptisch, mystisch muten viele der kurzen und abstrakten Sätze an, immer wieder wird in performanten Widersprüchen das Absurde vorgeführt, das Individuum etwa erhöht und vernichtet, es kann nichts, aber vermag alles, das Argument lässt sich angesichts dessen nur ahnen. Alles ist absurd, das ist ja die Prämisse. Und daraus folgt weder eine Hoffnung, noch, dass man sich gleich umbringen sollte. Die Schlüsselbegriffe sind wohl Freiheit, die das Absurde als Abwesenheit eines göttlich bestimmten Sinns voraussetzt, das aktive Leben und schließlich das Bewusstsein.

Wenig habe ich konkret verstanden, spulte im Hintergrund aber Spinoza ab und irgendwie schien es zu passen, und am Ende wird ja alles gut. Sisyphos kann bei jedem Abstieg chillen und bewusst sein, und so ein Stein kann ein ganzes Menschenherz ausfüllen. Ach wie gut, dass wir alle so frei sind. Wenn Sisyphos schon glücklich ist, dann bin ich es auch. Aber Camus verliert sich in der Abstraktion doch irgendwie. Mit Wirkungslosigkeit lässt sich ja ein Umgang finden, aber er banalisiert doch das Steineschleppen. Natürlich müssen wir uns Camus als einen glücklichen Menschen vorstellen, wenn er doch den ganzen Tag Bücher schreiben kann und nur zu befürchten hat, dass niemand ihn liest, kauft, versteht oder dass er morgen anders denkt.

Aber Fließbandarbeiter, Soldaten, ja, vielleicht auch Lehrer haben andere Steine zu tragen., von Frauen ganz zu schweigen Das Absurde ist ein bloßes Luxusproblem aus der Sicht desjenigen, dessen Rücken sich unter dem Stein zerreibt. Würden wir Sisyphos vom Absurden befreien, hätte er nicht ein Problem weniger. Das beweist aber keineswegs, dass Sisyphos glücklich ist, sondern lediglich, dass das Absurde nicht sein Problem ist. Er könnte ja auch Stein für Stein Paläste bauen, selbst wenn sie ihm gehörten, am Ende wär der Überfluss ein Überdruss, der Mühe niemals wert, weil der Abstieg doch kein Leben ist.

Foto von Vince Kowalski auf Unsplash