Rezension zu Peter Handke: Versuch über die Jukebox
Versuch über die Prokrastination
Ein namenloser Er, seines Zeichens Schriftsteller, begibt sich in das kastilische Soria, bzw. zunächst noch jeweils eine Nacht in die benachbarten Orte Logron und Zaragoza, um an seinem Projekt Versuch über die Jukebox zu arbeiten. Selbstreferenziell entwickelt sich eine von manchen Widrigkeiten, vor allem aber von prokrastinierenden Ablenkungen und Unpässlichkeiten der Figur getragene Reise, die dem Text eine erzählerische Struktur verleiht.
Der Schriftsteller liest Theophrast, er zieht durch die Stadt mit ihren Kirchen und Kneipen, schwärmt von der Landschaft und lässt sich von den kleinen Dingen des Lebens begeistern, während die Jukebox, „sein“ Gegenstand, eher anekdotenhaft in Erscheinung tritt. Verschiedene Modelle werden benannt, die spärlichen Entwicklungen über die Zeit, Besonderheiten des Sounds und des Gefühls, aber auch typische Orte, ja selbst Spuren der Automaten analysiert.
Persönliche Erinnerungen an die ersten Beatles-Songs aus diesem Gerät oder einen flüchtigen Moment der Zweisamkeit mit einer „Indianerin“ werden geschickt eingeflochten, aber irgendwie scheint es doch nie so richtig um die Jukebox zu gehen, oder vielleicht ist dieses „nie so richtig“ auch einer der wesentlichen Momente, welche die Jukebox ausmachen. Da wird mal nach Tokio gesprungen und nach Alaska, dann nach Salzburg, aber irgendwie bleibt nichts so richtig haften. Natur-, Landschafts- und Architekturbeschreibungen stehen im leeren Raum, der Schriftsteller wirkt untätig und etwas dumm, was ihn aber natürlich auch sympathisch macht, und die erzählerische, man möchte sagen autopoietische Qualität des Textes ist nicht von der Hand zu weisen.
Auffällig ist die häufige Bezugnahme auf fremde Kulturen, deren Sinn mir aufgesetzt erscheint und deren Bedeutung verborgen bleibt. Da sind „Zigeuner“, Schwarze, besagte „Indianerin“, „Eskimos“ und ein Typos von Chinarestaurant als fremd in der Fremde liegendes Identifikationsmoment.
Die kunstvolle Annäherung von Form und Inhalt ringt mir durchaus Respekt ab, aber die Frage nach dem Wert dieses Verhältnisses, wenn ich nun einen langweiligen Text über einen langweiligen Inhalt schreibe, ist doch nicht so einfach zu beantworten. Man kann ja auch keinen Text über Prokrastination schreiben, den man dann nicht schreibt. Hier aber gibt es ja ein durchaus vorzeigbares Ergebnis, das mit Sicherheit Anlass für eine Vielzahl literaturwissenschaftlicher Untersuchungen geben könnte (gegeben hat), was ich mir wirklich gern zu Herzen nehme.
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Foto von Anastacia Dvi auf Unsplash